Die Schweizer Schriftstellerin Julia Weber bietet eine außergewöhnliche Dienstleistung an. Sie schreibt Literatur auf Bestellung. Sie macht »Texte so wie Fotos, aber mit Buchstaben und Phantasie«, zu jedem Anlass. Man kann sie buchen und zur Taufe mitbringen, zum Geburtstag oder zur Hochzeit, in die Zürcher Kunstgalerie, den Golden Pudel Club in Hamburg oder zum Fischessen mit der Familie im Jura: »Alle saßen an einem Tisch vor ihrer Forelle«, erzählt sie, »und ich vor meiner Schreibmaschine«.
Die Schreibmaschine ist wichtig, um die Aura des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit zu retten. Jedes Typoskript ist ein Unikat, Julia selbst behält nur den Durchschlag. Als Walter Benjamin seinen berühmten Aufsatz schrieb, ging mitten im Wort »Ka…« seine Schreibmaschine kaputt. Er brachte sie zur Reparatur, ohne jedoch die bereits angefangene Manuskriptseite herauszudrehen. Die Besorgung der nötigen Ersatzteile dauerte länger als erwartet, und so entschied er sich zwei Tage später für eine generalüberholte Adler Transport als Ersatz. Bei der Abholung nahm er auch die begonnene Seite wieder mit, spannte sie in die neue Schreibmaschine ein und vervollständigte das Wort. Es lautet »Kamera.«
Julia hat nach der Schule eine Ausbildung zur Fotofachangestellten gemacht und sich erst spät für die Literatur entschieden. Ausschlaggebend dafür war unter anderem eine Reise nach Zimbabwe. Dort stellte sie fest, dass sie sich wohler dabei fühlte, Menschen mit Worten zu porträtieren als mit der Kamera. Auch deshalb hat sie 2009 den Literaturdienst gegründet. Sie habe schon immer gern Menschen beobachtet, und eine Schreibmaschine besaß sie auch: »Ich habe nicht einen Beruf gefunden, der zu mir passt, sondern einen Beruf erfunden, der zu mir passt.«
Ihre Texte sind keine Protokolle, sondern literarische Andenken – Porträts, Dokumentationen, Geschichten, verfasst in einer präzisen, lakonischen Sprache und immer voller Empathie. Ohne Einfühlungsvermögen könnte sie den Literaturdienst nicht machen, sagt Julia. Sie schreibt mit, was sie sieht, was sie hört, was die Gäste ihr erzählen. Sie ist am Rand und doch dabei, mit einem aufmerksamen Blick für Details, für das, was auch ein wenig abseits passiert. Und macht daraus Prosaminiaturen wie diese: »Oskars Grossvater steht neben Oskars Mutter und hebt die Schultern und ich hebe auch die Schultern, dann kommt er zu mir hin und sagt: Wenn man nur 50 Prozent vom Leben im Griff hat, dann ist das schon gut. Ich sage: Ja das stimmt.«