FÜNF
Einmal und nie wieder fahre ich mit dem Bus raus an den Badestrand Playa del Este. Sobald eine europäische Frau allein ins Wasser geht, springen zwei Schwarze hinterher. Zu mir kommen in einer Stunde drei Kubanerinnen und fragen, ob sie mich beölen oder eingleiten dürften (umgedreht, andersrum, durcheinander). Ein fetter, alter, weißer Russe läuft mit seiner Kamera rum und schießt die schönsten Frauen aus nächster Nähe ab (bzw. deren Ärsche, pars pro toto). Ich bin beruflich hier und fahre schnell zurück zum Text und versuche ein Gedicht, um mich zu fassen.
O, la Habana
O
O
(-Como se llama este arbol? – Arbol hawaiano.)
Am Abend gibt es die Kurz-Lesungen vier meiner Stücke: Schauspieler super, es wird gelacht an komischen Stellen, viele Alltagssituationen nicht übertragbar, hoffentlich produktive Missverständnisse, die Mutter in der Geisterbahn hat am Ende Tränen in den Augen. Sie hat einen kleinen Sohn, erzählt sie später, und könne nicht komisch spielen, wenn er sie verlässt im Stück. Meine Erfindung, der Junge Otto Klein, lässt eine Frau der Revolution weinen im Spiel mit Blick aufs Meer in die Zukunft ihres Kindes, das sie verlassen könnte: Wirrnis übersetzbarer Vielfalt.
Finster ist es außerdem, meine Wohlstandsdepressionen an kubanische Schauspieler delegiert zu sehen, die vermutlich gern meine Probleme hätten. Also wieder einmal: andere Stücke schreiben. Dieses Mal bessere. Unzeitgemäßer. Düsterer. (Black.) Schlagartig niedergeschlagen wie ein Trottel trotte ich den Trottoir heimwärts in meine Seppl-Herberge. Der Portier nickt aufmunternd, als erkenne er an meinem Gang meinen Stand. Ich fahre auf auf Knopfdruck. Jeder geschlossene Aufzug ist ein Sarg. Jedes Hotelfenster ab dem 3. Stock muss vergittert sein. Die Schule liegt im Dunkeln jetzt, und die Gespenster darin, sie lernen gegen das Leben. Wo Körper war, soll Geist werden. Immerwährendes wird nur durch Ebenbürtiges erkannt. Scheintod im Denken. Schnell wieder runter und raus in die Stadt und das nachtwarme Durcheinander.
Einen Mojito in der Bar, in der er angeblich erfunden wurde. Schmeck ich nicht.
SECHS
Ein letztes Mal Centro Havanna, das Viertel der Superlative in punkto laut, kaputt und undurchschaubar. Durch offene Türen sieht man in dunkle Zimmer, die Häuser sind Krüppel mit offenen Wunden und fauligem Gebiss (die Metapher ist auch schon gammlig). Es stinkt nach Scheiße und Schimmel neben dem rohen Fleischverkauf. Über Stromkabel ist Wäsche gehängt, die trocknet in den Abgasen. Junkies und Gangster gibt es nicht, weil niemand das Geld hat für harte Drogen und schwere Waffen. Blinde verkaufen Erdnüsse, Kinder Süßzeug, ein Mercedes hupt sie heftig von der Straße. Ich gehöre hier nicht hin, niemand braucht Voyeure. Chauvinismus XY ungelöst: »Der Unglückliche gewinnt eine Art von Lust im Gefühl der Überlegenheit, welches das Bezeugen des Mitleides ihm zum Bewusstsein bringt; seine Einbildung erhebt sich, er ist immer noch wichtig genug, um der Welt Schmerzen zu machen. Somit ist der Durst nach Mitleid ein Durst nach Selbstgenuss, und zwar auf Unkosten der Mitmenschen; es zeigt den Menschen in der ganzen Rücksichtslosigkeit seines eigensten lieben Selbst.«
Eine Blonde schwallt ihre Begleiterin noch kurz vor der Abreise Volltext Lamento zu, das Land habe seine Unschuld verloren, die Freundlichkeiten seien berechnend geworden, die früher unberührten Strände inzwischen überfüllt. Tourismus zerstört, was er sehen will. Und klagt heimlich stolz, dass er Spuren hinterlassen hat. Graffito in aeternum: Ich war hier.
Verschwinder. (Thomas Melle)
Im Flugzeug ein Witz: A group of Jews in a synagogue publicly admitting their nullity in the eyes of God. First, a rabbi stands up and says: »O God, I know I am worthless. I am nothing!« After he has finished, a rich businessman stands up and says, beating himself on the chest: »O God, I am also worthless, obsessed with material wealth. I am nothing!« After this spectacle, a poor ordinary Jew also stands up and also proclaims: »O God, I am nothing.« The rich businessman kicks the rabbi and whispers in his ear with scorn: »Who is that guy who dares to claim that he is nothing too!«