Markus Streichardt arbeitete als Werkstudent in der Webredaktion des Suhrkamp Verlags und ist derzeit Projektbetreuer für Startnext.
An Wagemut, Hingabe und Ausdauer mangelt es Künstlern bzw. Kulturproduzenten bekanntlich nicht, um ihre Ideen zu verwirklichen. Häufig fehlt ihnen schlichtweg das nötige Geld. Ein Bankkredit kommt für die wenigsten infrage, geschweige denn wird er gewährt. Und freilich können nicht alle Projekte durch einen Mäzenaten gefördert werden. Crowdfunding bietet in diesem Kontext ein alternatives Modell, durch das eine neue Form der Kulturförderung ermöglicht wird.
Aber wie funktioniert Crowdfunding überhaupt? Und wie wird es im Literaturbetrieb eingesetzt? Das Konzept ist denkbar simpel: Die Crowd, also die Masse an Unterstützern, finanziert mit vielen kleinen und auch einigen großen Beträgen das Projekt vorab. Im Gegenzug erhalten die Unterstützer entsprechende Gegenleistungen – sogenannte »Dankeschöns«, die von den Initiatoren des Projekts bestimmt werden. Kommt die nötige Summe nicht zusammen, fließen die Gelder wieder an die Unterstützer zurück. Auf der Crowdfunding-Plattform Startnext lässt sich beobachten, wie vermehrt Autoren, Verlage und Literaturbegeisterte ihr »Ding« erfolgreich durchziehen. Die Journalisten Tom Hillenbrand und Konrad Lischka schrieben in ihrem Erfahrungsbericht auf Spiegel Online: »Nie war es leichter, Verleger zu sein.«
Crowdfunding – ein modernes Subskriptionsmodell
Für die Herausgeber Nike Marquardt und Marc Holzenbecher zum Beispiel gehören Literatur und Fotografie zusammen. Und zwar in einem Magazin: STILL. Bereits zwei Mal haben sie eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich zu Ende geführt, um die Druckkosten zu decken. Weil als Dankeschön lukrative Abo-Pakete angeboten werden, können sie für weitere Ausgaben besser planen. Für den Kölner Verlag Parasitenpresse ging es darum, vier neue Lyrikbände in Höhe von 2.000 € zu finanzieren. Anstatt selbst die komplette Summe vorzuschießen und über den Verkauf zurückzugewinnen, wird der Prozess beim Crowdfunding umgekehrt. Crowdfunding wird also als ein modernes digitales Subskriptionsmodell verstanden und knüpft an eine bekannte Praxis der Verlagsbranche an. Dankeschöns bilden dabei einen großen Anreiz, das Projekt zu unterstützen und den Unterstützer an die Idee zu binden – sei es durch eine Namensnennung im Buch, eine signierte Ausgabe oder eine (exklusive) Lesung mit dem Autor oder die Autorin. Dirk von Gehlen, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, schickte zudem einzelne Kapitel an seine Unterstützer. Deren kritisches Feedback griff er auf und überarbeitete sein Manuskript Eine neue Version ist verfügbar. Die Crowd war in dem Fall nicht nur Geld-, sondern auch Ideengeber.
Crowdfunding ist Arbeit, die sich lohnt
Ein wichtiger Punkt, der häufig unterschätzt wird, ist die nötige Öffentlichkeitsarbeit. Niemand kann sich allein auf seine tolle Idee verlassen, sondern muss sie ansprechend präsentieren und kommunizieren können. Es geht um Aufmerksamkeit und um Vertrauen: die Leitwährungen im Internet. Dafür dreht der Projektstarter ein kurzes »Pitch-Video«, schreibt Blogbeiträge und stellt sich den Fragen der Community. Mittels der Social-Media-Kanäle Facebook, Twitter & Co. kommt die nötige Dynamik zustande: Das Projekt wird empfohlen, die Community vergrößert sich. Das ist natürlich mit zeitlichem Aufwand verbunden. Wann kommuniziere ich was, wie, für wen? Dirk von Gehlen wagte 2012 die Prognose, dass »sich in naher Zukunft Partner und Dienstleister herausbilden werden, die die Kreativen dabei unterstützen – man könnte sie Verlage nennen«. Bereits zwei Jahre später ist die Prognose Wirklichkeit geworden. So hat der Dresdner Indie-Verlag Voland & Quist jüngst über die Crowd mögliche Prozesskosten vorfinanziert. Es ging um den satirischen Buchtitel Die schönsten Wanderwege der Wanderhure, gegen den die Verlagsgruppe Droemer Knaur, Verleger der Bestsellerreihe Die Wanderhure, klagte. Voland & Quist konnte in Berufung gehen, weil die Crowd dem Ruf zur Unterstützung gefolgt ist: Bereits am ersten Tag kamen 7.000 € von angepeilten 12.000 € zusammen und nach Ablauf der Kampagne waren es 14.619 €.
Die Crowd wird zum Gradmesser
Die Vielfalt allein an Buchprojekten ist groß: Sachbücher, Kinderbücher, Fotobände, Comics & Graphic Novels, Magazine und Übersetzungen. Hinzu kommen Hörbücher, Lesungen oder wie derzeit die Entwicklung einer dreisprachigen Kinderbuch-App der Erzählung Meta Morfoß von Peter Hacks. Aktuell erreichte Fundingsummen bewegen sich zwischen 1.000 € und 37.000 € – Tendenz steigend. Je nachdem, wie viel benötigt wird und wie viele Unterstützer mitmachen. Vor allem Verlage können so erfahren und selbst testen, welche Titel die Leser begeistern. Die Crowd wird zum Gradmesser. Sie entscheidet und empfiehlt. Auf Startnext zieht in 60 % der Fälle die Crowd mit und ermöglicht so Projekte, die vorher kaum denkbar gewesen wären.