Mit dem WM-Extrablatt begleiten wir die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien vom 12. Juni – 13. Juli 2014. Unser Team: Imran Ayata, Friedrich von Borries, Paul Brodowsky, Petra Hardt, Heinz Helle, Verena Güntner, Thomas Klupp, Katja Kullmann, Matthias Nawrat, Christoph Nußbaumeder, Albert Ostermaier, Thomas Pletzinger, Doron Rabinovici, Lutz Seiler, Stephan Thome, Stefanie de Velasco.
Da endlich einmal Gras gemäht werden musste, bin ich das Wagnis eingegangen, und nun sitze ich hier, sehr weit draußen auf dem Land, und weiß nicht einmal, wie das Portugal-Spiel (Portugal-USA) ausgegangen ist.
Nach dem Mähen – zunächst ein kleines Glück: dreimal vorpumpen und der Rasenmäher springt sofort an, ich muss nicht die Zündkerze herausschrauben und trocknen, nicht die Elektroden säubern oder ihren Abstand prüfen, und Benzin war auch genug im Tank – nach dem Mähen also – ich glaube, die Grundstimmung dem Haus und mir gegenüber hängt hier (im Dorf) zu einem nicht geringen Teil davon ab, ob gemäht, gefegt und im Winter der Winterdienst gemacht ist (und gerade darin bin ich nicht besonders gut, weil ich es im Winter eigentlich gar nicht schaffe, hier herauszukommen, »Was issn mal mit Winterdienst?«, hatte mich vor Jahren schon der Bürgermeister gefragt, nett und energisch, ein Mann namens Benn, Marcel Benn, ja, die Ostprignitz ist Heimat der weitverzweigten Benn-Sippe, aus der auch Gottfried Benn hervorgegangen ist, der hier um die Ecke geboren wurde, aber darüber haben der Bürgermeister und ich nicht gesprochen damals, nur über den Winterdienst), kurz: Nach dem Mähen des Rasens, einigermaßen zufrieden über die erledigte Arbeit und in Vorfreude auf die Spiele am Abend, habe ich versucht, mit dem von mir extra mitgebrachten Fernseher und seiner Antenne einen Sender einzufangen. Trotz genauer (und wiederholter) Befolgung aller Einzelschritte im Philips USER MANUAL ohne Ergebnis. Es war das erste Mal in zehn Jahren, dass ich ein Fernsehgerät mit aufs Land geschleppt habe; und ich war mir ganz sicher, vor einigen Monaten gehört zu haben, dass das Fernsehsignal inzwischen deutschlandweit digital ausgestrahlt wird, und genau darauf war meine Technikauswahl vorbereitet …
Dies ist sicher nicht der Ort, Verzweiflung, Wut und Technikhass (analog, digital, der ganze Schmarrn) zu beschreiben. Irgendwann verließ ich das Haus, ich ging durchs Dorf, bergab bis zu dem Gehöft mit dem Storchennest, aber auch der Anblick des Storchs, der Felder und des Sonnenuntergangs über den Feldern war trostlos und konnte mein Gefühl, ausgeschlossen worden zu sein vom eigentlichen Leben, nicht mehr lindern. Noch stärker dann das Draußen-vor-der-Tür-Gefühl auf dem Rückweg mit dem Geräusch und dem Lichtspiel der Live-Übertragung, wie es hier und da aus den Häusern drang, die Dorfstraße entlang.
In früheren Jahren sind wir bei wichtigen Spielen nach Pritzwalk oder Perleberg gefahren. In Pritzwalk gab es einen Italiener, der mit einer kleinen Leinwand nach draußen zum Marktplatz hin übertrug. In Perleberg gibt es ein größeres Eiscafé mit großem Flachbildschirm an der Wand. Dort kann man auf roten Kunstlederbänken sitzen, ab und zu geht jemand durchs Bild für eine Kugel Vanille oder einen Schwedeneisbecher, aber das ist kein großes Problem. Das Problem war, dass das Spiel, das ich unbedingt sehen wollte (Portugal-USA), erst um 0 Uhr begann. Auch wer Kleinstädte nicht so intensiv vor Augen hat, ahnt, dass um diese Zeit (spätestens) in Perleberg und Pritzwalk nichts mehr geht, »um 22 Uhr sind die Bürgersteige hochgeklappt«, meinten Freunde aus Lennewitz (ein anderes Dorf in der Prignitz, etwa eine halbe Stunde entfernt von hier), die ich anrief in meiner Verzweiflung, aber sie hatten, wie schon befürchtet, keinen Fernseher auf ihrer Ranch. Als ich vom Spaziergang heimkam, fiel mein Blick auf das Philips USER MANUAL, das wie zum Hohn eine fußballschauende Familie auf dem Cover zeigt, Mutter, Vater und drei Kinder, alle mit überglücklichen Gesichtern. Nach Hause konnte ich es nicht mehr schaffen, also ging ich ins Bett. Und heute verlasse ich Klein-Gottschow.