Der russisch-amerikanische Lyriker Eugene Ostashevsky hat im Sommersemester 2016 die Siegfried-Unseld-Gastprofessur für Mittel- und osteuropäische Literaturen an der Humboldt-Universität zu Berlin inne. Am 31. Mai hielt er im Collegium Hungaricum seine Antrittsvorlesung zum Thema Poetry and Multilingualism. Die Einführung dazu hielt Katharina Raabe.
Liebe Ulrike Vedder, liebe Susi Frank, lieber Eugene Ostashevsky, verehrtes Publikum,
mit Eugene Ostashevsky hat sich endlich das amerikanische Englisch als osteuropäisches Idiom die Siegfried-Unseld-Professur erobert. Wer Tschechisch, Ungarisch, Polnisch oder BKMS (Bosnisch-Kroatisch-Mazedonisch-Serbisch) schreibt, möchte doch nur noch in sehr eingeschränkter Bedeutung als osteuropäischer Autor gelten. Exotisierung, der lange Schatten von Krieg und Verbrechen, die Dominanz der Geschichte über die Gegenwart, des Politischen über das Poetische, der Ruf, schwer verständlich und noch schwerer verkäuflich zu sein – die Gründe für diese Aversion sind bekannt.
Was Mittel- und Osteuropa einst ausmachte, sein Reichtum an Sprachen und Kulturen, die Vielsprachigkeit seiner Bewohner, das Zusammenleben vieler verschiedener Nationen, ist längst vorbei. Heute beobachten wir ein erschreckendes Erstarken nationaler Werte – bis hin zur Forderung, in einer ethnisch reinen Sprache zu schreiben.
Dass sich, wie es in der Vorlesungsankündigung heißt, in vielen Nationen heute ein Vermischen von sprachlicher und kultureller Vielgestaltigkeit ereigne und damit ein weniger sprachzentriertes Konzept nationaler Identität im Entstehen begriffen sei, kann kaum für die Länder zwischen Ostsee und Schwarzem Meer gelten.
Umso mehr aber für Orte wie Berlin und New York, wo unser Professor heute lebt. Hier entstehen deutsch-russisch-englische oder sogar englisch-russisch-karibisch-iranische Dichterzirkel, die auch Übersetzerzirkel sind. Das Übersetzen ist essentiell für die poetische Arbeit.
Für Autoren wie Ostashevsky, die als Emigrantenkinder gleichzeitig im abgeschlossenen Milieu ihrer Muttersprache (in einem von Puschkin, Mandelstam, Brodsky, von der klassischen Poesie bestimmten Lese- und Hörraum) und in einer amerikanischen Sprach-, Literatur-, Musik- Popwelt aufwuchsen, kann die Sache nicht ganz einfach gewesen sein. Dass alles doppelt ist, man sich aber dennoch entscheiden muss, einer zu sein, prägt als Grunderfahrung seine poetische Arbeit.
Auffällig viele Paare und Zwiepaare treten bei Ostashevsky auf: die Strophen sind fast immer Zweizeiler. Jede Figur hat eine andere an ihrer Seite: The Pirate Who Does Not Know the Value of Pi im gleichnamigen Band tut sich mit einem parrot, einem Papagei zusammen: Bonny and Clyde. DJ Spinoza disputiert mit – Gott, streitet mit Joseph Bédier, dem Herausgeber der Chanson de Roland, er findet einen Sparring-Partner in MC Squared, vor allem aber in – und nun muss ich meine Lieblingsfigur erwähnen: dem Begriffon.
»The Begriffon is something out of Geistesgeschichte«.
In The Life and Opinions of DJ Spinoza (Tristram Shandy und Pan Cogito lassen grüßen) tritt das Begriffon zum ersten Mal auf. Gryphon, Griffin, Greif – skythisch, altsumerisch, mykenisch bis zu den Brüdern Grimm als mythische Fabelwesen bekannt, hat es 2,7 mal 10 hoch fünf Klauen, aber nur eine Nagelschere und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: I am Ambivalent vorn und I am not ambivalent hinten. Lügen erträgt es nicht. Nachdem DJ Spinoza Definitionen, Axiome, Lehrsätze ausgelegt hat wie ein Zahnarzt sein Besteck zum Löcherfüllen, beginnen sie zu streiten. Am Ende beschimpft DJ Spinoza sein Gegenüber: »Listen, you čudo-iudo-zamorskij Begriffon …« und in der letzten Strophe heißt es: »The Begriffon stands for me, Eugene Ostashevsky …«
Ist es übrigens Zufall, dass (neben der hier anwesenden Uljana Wolf) Monika Rinck, Inhaberin eines Begriffsstudios, das mittlerweile mehr als 3000 begriffs umfasst, Ostashevsky übersetzt?
Es gibt den gescheiterten Versuch DJ Spinozas, mit MC Squared (Einstein-Formel – Beatboxer) das Begriffon abzumurksen. Doch es überdauert alle Fährnisse – und begegnet uns wieder in Enter Morris Imposternak, Pursued by Ironies, in einem wunderbaren, natürlich aus Zweizeilern komponierten, von der barocken Vanitas-Dichtung umwehten Gedicht »Do not love / It is possible that nothing is true anyway // That we live in a forest of begriffons / And that even we ourselves are begriffons …«
Morris Imposternak? Pasternak? De tribus impostoribus (Über die drei Betrüger) – einer anonyme Kampfschrift gegen die drei monotheistischen Religionen, der viele Verfasser zugeschrieben wurden, u.a. Spinoza?
Man komme mit dem Wikipedia-Nachschlagen gar nicht hinterher, schrieb eine entnervte amerikanische Rezensentin über Ostashevskys Lyrik. In der Tat: Ihr Hauptmanöver, ihr main move, ist der pun, das Wortspiel. Der Dichter selbst bezeichnet sich selbst als pundit – zu Deutsch poeta doctus.
English is always going to be second-skin to me. It’s never going to be first skin. And that’s the basis of my poetry. Seine Sprache ist imprägniert von der Erfahrung, wie arbiträr die Beziehung zwischen grammatikalisch-lexikalischem System und Welt ist. Ich bin sicher, diese Zweite-Haut-Disposition hat die Nähe gestiftet zu Daniil Charms und Aleksandr Vvedenskij, deren Werk er – in preisgekrönten Übersetzungen und Ausgaben – dem amerikanischen Publikum, darunter rezeptionsfreudige viele Dichterkollegen, bekannt gemacht hat. Die Oberiuten interessieren ihn als Philosophen, die grundlegende Annahmen des common sense in Frage stellen: Zeit, logische und kausale Folgen. Jede Affirmation hat ihre Negation: »Ich sagte, dass ich gestern bei dir war, doch du sagtest, dass ich gestern nicht bei dir war.« (Vvedenski, Kuprijanov und Nataša)
Russia meets Monty Python meets history of philosophy, so führte Robert Hass vor vielen Jahren den jungen Ostashevsky, in der Reihe Lunch Poems ein. Als poet, scholar, reckless metaphysician and comedian stellte er ihn vor. Was macht der waghalsige Metaphysiker? Er lässt Andrew Marvell, einen metaphysical poet aus dem 17. Jahrhundert, auf einen russischen Altgläubigen treffen. In dem kleinen Versdrama à la Vvedenski spricht Marvell Latein, der Altgläubige Deutsch, und als ihm Marvell ungeduldig Pecuniam non habeo verklickern will, verfällt der Altgläubige in eine Mischung aus Altkirchenslawisch und kyrillisch transkribiertem amerikanischen Englisch.
Zurzeit arbeitet EO an einer Ausgabe des russischen Futuristen Vassilij Kamenskij, an dem ihn der Gebrauch der Sprache als plastisches Material interessiert. Es sind Bildgedichte, Gebilde, in denen das Linguistische und Visuelle untrennbar sind. Zart inspiriert davon ist sein jüngste Büchlein, wie immer gestaltet mit dem Künstler Eugene Timerman, der Titel kam schon vor: The Pirate Who Does Not Know the Value of Pi.
Auf das kleine Versepos, die Alice-in-Wonderland, Winnie-the-Pooh-Dialoge, Charms-Pastiches und Knittelverse näher einzugehen, würde zu weit führen. Wir sollten Eugene bitten, es uns irgendwann einmal vorzutragen.
The Begriffon is something out of Geistesgeschiche.
Eugene Ostashevsky is something – out of what?
Zhenja, poshalujsta, the floor is yours.
Im Herbst 2016 erscheint auf Deutsch bei kookbooks: Eugene Ostashevsky – Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt. Übersetzt von Monika Rinck und Uljana Wolf.