Der Anfang ist traditionell schwierig. Von der Tiefgarage, bedrückend wie jede Tiefgarage, führt ein abblätterndes rotes Farbband, breit auf den Boden gepinselt, bis zum Treppenaufgang ins Foyer des Darmstädter Staatstheaters: Beton, Beton, Beton.
Aber dann wird es schön. Vor dem bläulich angestrahlten Vorhang prangt ein riesiges Bouquet in Rot- und Gelbtönen, ein aufheiternder Primärfarbeneffekt. In dieser Kulisse verleiht die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay, den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa und den Georg-Büchner-Preis. Wo wird das heute noch zugemutet: 140 Minuten reine Redezeit, keine Musik, keine Pause, nichts zu trinken?
Trotzdem funktioniert es, und gerade die unterschiedlichen Temperamente auf der Bühne sind ein besonderer Reiz: die lebhafte, schlagfertige Moderation des Präsidenten der Akademie, Heinrich Detering. Die Laudatoren, Thomas Assheuer, Navid Kermani und die hinreißende Ursula März, die dem Motiv des Dackels in Sibylle Lewitscharoffs Werk nachgeht. Vor allem aber sind es die Preisträger: Wolfram Schütte beschwört eine vergangene Dekade herauf, die für Filmkritiker das Paradies war. Angelika Neuwirth bringt uns im Verein mit Navid Kermani die These nahe, dass der Koran kein Lektürestoff sei, dass man ihn im Gegenteil hören müsse. Und Sibylle Lewitscharoff bekennt sich dazu, keine Büchnerianerin zu sein, um dann mit der ihr eigenen Sprachmacht den Lenz zu rühmen, zart, liebevoll, ernsthaft, ironisch.
Beim anschließenden festlichen Abendessen in der Orangerie wird es handfest: »Nehmen Sie mal das Ding da weg!«, ordnet eine Bedienung mit hessischer Freundlichkeit an, weil ihr die elegant über den Teller gebreitete Serviette im Weg ist. Die Tischnachbarn unterhalten sich über die Akademie-Tagung, die sie hinter sich gebracht haben, über die dort verhandelten Themen, aber auch über die beruhigende Wirkung, die TV-Serien wie Shopping Queen oder Das perfekte Dinner auf angegriffene Nerven haben, und dass man, wenn man sich bei letzterem als Kandidat bewirbt, eine Wohnung mit Highlight vorzuweisen hat.
Fazit des Abends: Nie als Kandidat bei Das perfekte Dinner bewerben. Mehr ins Kino gehen. Den Koran hören. Lewitscharoff lesen.