Joshua Groß im Gespräch mit Christopher Ecker
Groß: In deinem neuen Roman Der Bahnhof von Plön trittst du selbst als Autor in Erscheinung. Dabei entspricht dein Roman inhaltlich gar nicht dem Trend zum autobiografischen Erzählen. Der Bahnhof von Plön ist ein sphärenvermengender, ambitionierter Versuch, Kafkaeskes, Gegenwärtiges und Fantasyelemente zu verbinden. Bist du eine Figur in dem Roman oder gibst du dich als Urheber zu erkennen? Beziehungsweise: Bist du ein Handlungselement oder ist Der Bahnhof von Plön ein metafiktionaler Roman?
Ecker: Ich schreibe nicht autobiografisch, abgesehen davon, dass ich in meinen Büchern Räume und Milieus »verwende«, die mir vertraut sind. Etwa das Schulmilieu in Der Bahnhof von Plön oder Städte wie Kiel, New York und Paris. Das Verwenden von Bekanntem und im Alltag genau Beobachtetem erzeugt Kulissen, die wirklich zu sein scheinen, hilft mir also, einen Anschein von Authentizität in Texte hineinzubekommen, in denen – und jetzt wird es paradox – Authentizität als Wert grundsätzlich angezweifelt wird. Daher arbeite ich sehr gerne mit möglicherweise unzuverlässigen Ich-Erzählern, weil man durch deren Perspektive gut zeigen kann, dass Menschen gar nicht in der Lage sind, Wirklichkeit zu erfassen. Und genauso wenig, wie Wirklichkeit erfassbar ist, so wenig ist sie letztlich schilderbar. Also ist es naheliegend, diese Nichterzählbarkeit von Welt in den Plot einzuweben oder Störmomente wie meinen Auftritt als Figur in Der Bahnhof von Plön einzubauen: Mein Protagonist beabsichtigt, einem Lehrerkollegen, genauer gesagt, einem sich schriftstellerisch betätigenden Herrn Ecker, seine Lebensbeschreibung zukommen zu lassen; dies tut er mit der Bitte, dass der fiktive Herr Ecker, der unsympathisch zu sein scheint, die Lebensbeschreibung als Roman veröffentlicht. Wäre der fiktive Herr Ecker klug, hätte er diesen verräterischen Absatz aus dem Buch gestrichen. Aber der Absatz findet sich im Roman. Wieso? Und schon sind wir im Bereich der Metafiktion, aber nicht im Bereich von neumodischen Spielereien, sondern in einem Bereich, in dem es um Erkennen, beziehungsweise dessen Unmöglichkeit geht.
Groß: Auf die Frage, ob der Roman tot sei, meinte der Autor Tom McCarthy: »The novel stumbles onwards, ineluctably, gorging and disgorging its own death, its own deadness. So the novel’s not just dead – it’s undead. The type that matters at least: the committed, engaged, self-aware novel that wrestles with the contradictions of its own condition.« Du sprichst von der »Unmöglichkeit der Erkenntnis«, von der »Nichterzählbarkeit der Welt« … Bei all der Skepsis, die unabdingbare (immer wieder auftauchende) Frage: Strauchelt der Roman? Ist er überholt? Ist die Literatur noch fähig, der Wirklichkeit etwas entgegenzusetzen?
Ecker: Der Wirklichkeit braucht nichts entgegengesetzt zu werden, denn die Literatur ist ja ein Bestandteil des Wirklichen. Die Frage ist, ob die Wirklichkeit, diese andere Wirklichkeit, die die ernsthafte Literatur ja ist, von der sogenannten wirklichen Wirklichkeit, also unter anderem den Lesern wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden kann. Und hier haben wir das Problem, dass die Leser oft nichts von Dingen erfahren, die jenseits eines Feuilletons stattfinden, das für eine gewisse Leserschaft schreibt, eine nebulöse Größe, die Rezensionen in Zeitungen liest und diese Zeitungen daher kaufen soll, eine nebulöse Größe, die Verlage und ihre Entscheidungen steuert und die häufig das Konstrukt kommerzieller Interessen ist. Hier sind wir im Bereich einer Kunst, die Geld verdienen will und da strauchelt der Roman zwar nicht, denn es gibt auch hier Autoren, die ihr Handwerk verstehen, aber der Sinn von Literatur, von ernsthafter Literatur strauchelt. Kunst ist dann gut, wenn sie sich an den Grenzen bewegt – sowohl inhaltlich, als auch formal. Und eine solche Kunst ist immer anstrengend, da sie Dinge in Frage stellt, Dinge auf den Kopf stellt, das eigene in Selbstverständlichkeit geronnene Denken angreift. Kafka hat in einem Brief geschrieben: »Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.« Und um solche Bücher zu lesen, braucht man Kraft und oft macht es auch keinen Spaß, sondern bedeutet Mühe und Qual. Aber nicht selten sind es gerade die vermeintlich schwierigen Bücher, die einen packen und mitreißen, so dass sie sich auf einmal – und hier wird es wieder paradox – als weitaus unterhaltender erweisen als all die Bücher, die geschrieben und verlegt werden, um Geld zu verdienen. Die Literatur, von der ich hier rede, ist, pointiert gesagt, die Literatur, die durch die Zweitlektüre gewinnt – und sie ist trotz allem quicklebendig. Ob sie verlegt oder gelesen oder rezensiert wird, das sind hierzulande andere Fragen.
Groß: Ist es möglich, mit metafiktionalen (also gewissermaßen auch: distanzierten) Texten, die sich ihrer eigenen Konstruiertheit bewusst sind, eine solch emotionale Wucht zu erzeugen, von der Kafka spricht? Kann eine Literatur, die ihre eigene Beschaffenheit verhandelt, ihre Leser gleichzeitig emotional so involvieren, dass eine persönliche Betroffenheit entsteht?
Ecker: Ja, denn Literatur ist etwas Gemachtes, etwas Hergestelltes. Wucht kann bewusst hervorgerufen werden. Natürlich nicht mit ungeschickten Metafiktionalisierungen, die in den unpassendsten Momenten den Gang der Handlung mit einem hysterisch gekrähten »Huhu! Sie lesen gerade ein Buch!« stören. Metafiktion muss, damit sie gelingt, geschickt in die Handlung – mehr noch: in die Aussage – eingewoben sein und sich als etwas Selbstverständliches im Fiktionsgebilde erweisen. Und wenn ihr das gelingt, kann sie durchaus emotionale Wucht erzeugen. Ein gutes Beispiel hierfür wäre der barmherzige Schluss von Nabokovs Das Bastardzeichen, wo dem Leser tröstend offenbart wird, eine ausgedachte Geschichte zu lesen. Gerade das Verlassen der erzählten Welt an dieser Stelle rührt und macht betroffen; zugleich zwingt es den Leser dazu, darüber nachzudenken, dass es in der Welt, in der er existiert, keine tröstende Instanz gibt, die einen aus dem Leid erlöst, sondern bloß das schweigende Nichts.
Groß: »Auf dem Rückritt zur Feste hatte Vater gesagt, jedes Dasein sei ein abgeschossener Pfeil und unser ganzes Leben reiche nicht aus, die Absicht des Bogenschützen zu erahnen.« Dieser Satz stammt aus Der Bahnhof von Plön. Bei Kierkegaard, der in deinem Roman auch auftaucht, gibt es den Gedanken, dass Leben vorwärts gelebt wird, aber rückwärts begriffen. Wenn du beim Schreiben dem schweigenden Nichts entgegentrittst: Ist das ein Voranschreiten (ein Leben) oder ein Verstehen (ein Begreifen)?
Ecker: Schreiben und Leben sind grundverschiedene Dinge. Leben führt man, mal mehr oder weniger bewusst, und es ist in der Tat so, dass sich vieles erst in der Retrospektive erklärt. Aus der Distanz werden Muster und Strukturen sichtbar. Die eigene Lebensgeschichte entsteht im rückblickenden und stets deutenden Erzählen des Erlebten oder dessen, was man erlebt zu haben glaubt. Das Schreiben hingegen fängt bei diesen Mustern und Strukturen an und legt sie der Linearität zugrunde, die darauf aufbaut. So entsteht eine sinnerfüllte Geschichte, die Ordnung oder Formen oder Motive kennt, Dinge, die im Leben eher selten sind. Schreibend wird also eine Welt geschaffen, die sinnerfüllt und begreifbar ist, selbst wenn sie absichtlich unbegreifbar gehalten wurde, um durch diese Mehrdeutigkeit eine Aussage über die sogenannte wirkliche Welt zu machen.
Groß: Wie stellst du dir den idealen Leser/die ideale Leserin vor?
Ecker: Ich schreibe aus innerer Notwendigkeit und nehme keine Rücksichten: In der Kunst darf man keine Kompromisse machen. Wenn etwas in einem Buch vorkommen muss, darf ich es nicht unterdrücken, obwohl ich weiß, dass diese Szene oder Passage einigen Lesern zu schaffen machen wird – z.B. die ausführlichen und akribisch beschriebenen Leichentransporte und -umschichtungen am Anfang von Der Bahnhof von Plön. Ich schreibe, so blöd das klingt, meine Texte so, wie sie geschrieben werden wollen. Der ideale Leser bin also erst einmal ich, weil ich das Buch so schreibe, wie ich selbst es gerne lesen möchte. Und beim Schreiben hege ich die Hoffnung, dass sich da draußen auch andere Leser für das finden lassen, von dem ich ästhetisch überzeugt bin.
Groß: Dann würde mich zum Abschluss noch interessieren, was von dir als nächstes kommt?
Ecker: Im Herbst 2017 erscheint beim Mitteldeutschen Verlag ein Prosaband mit dem Titel Andere Häfen. Ein neuer Gedichtband ist auch fertig sowie zwei Kinderbücher, die allerdings fast alle außer mir für unveröffentlichbar halten. Einen neuen Roman werde ich vermutlich erst zu schreiben beginnen, wenn die Fahnen des Prosabands korrigiert sind, aber ich recherchiere schon, sammle Ideen, stochere beidhändig in zähem Nebel herum, um darin etwas zu packen und festzuhalten, das sich noch zu erzählen lohnt.