Jessie Burton, Autorin des Bestsellers Das Geheimnis der Muse, hat auf ihrer Website 10 Tipps zum Schreiben eines Romans zusammengestellt.
Meiner Erfahrung nach kommt man mit Inspiration allein nicht sehr weit, man braucht auch Beharrungsvermögen und einen festen Willen. Wenn du für ein Publikum schreiben willst, nutzt die schöne Macht der Phantasie gar nichts, wenn du nicht bereit bist, sie in stundenlanger, mühseliger Arbeit herauszukitzeln, Wort für Wort, bis aus Absätzen Kapitel werden und diese zu einem Buch. Ein großer Teil der Mühe, die man in einen Roman steckt, führt zu nichts als zu immer neuem Scheitern. Schreiben ist keine Flucht vor sich selbst, vielmehr konfrontiert es dich immer wieder mit deiner eigenen Unzulänglichkeit. Im Ringen um Perfektion wirst du häufig frustriert sein, denn das, was du in der Phantasie vor dir siehst, widersetzt sich allen Anstrengungen, ihm eine literarische Form zu geben.
Das klingt jetzt zwar ein bisschen wie die Ansprache eines Feldwebels an seine Rekruten, aber, wie die unvergleichliche Maya Angelou einmal gesagt hat: »Wer nimmt, muss auch geben, wer lernt, muss auch lehren.« Nun denn: Hier ein paar Dinge, die ich gelernt habe und die vielleicht auch euch nützlich sein können.
1. Es wird immer jemanden geben, der besser ist als du
Mir macht das nichts aus. Ich finde den Gedanken sogar tröstlich, befreiend. Du machst einfach weiter und lässt alle anderen tun, was sie zu tun haben. Denn irgendwo gibt es irgendjemanden, der zu dir aufblickt.
2. Erzähle anderen Leuten, dass du an einem Roman schreibst
Mach kein großes Getue darum, du schreibst schließlich nicht Hundert Jahre Einsamkeit. Allerdings muss ich zugeben, dass es eine zweischneidige Sache sein kann, seine Lieben in seine literarischen Pläne einzuweihen. Ich selber habe damit lediglich erreicht, dass ich in den folgenden drei Jahren andauernd zu hören bekam: »Na, wie geht’s mit deinem Roman voran?«, was ich als ähnlich nervig empfand wie die immer gleiche Frage: »Meinst du nicht, du solltest dir langsam Gedanken über Kinder machen?« Aber es hat auch sein Gutes, denn man setzt sich damit in gewisser Weise unter Zugzwang: Wenn du anderen Leuten angekündigt hast, dass du ein Buch schreibst, wirst du das Bedürfnis haben, ihnen zu beweisen, dass das keine leeren Worte waren. Es ist keine perfekte Strategie, doch es hilft ein wenig dabei, eine gewisse Verantwortlichkeit für die ganze Plackerei zu entwickeln. Aber erzählt es nur netten Menschen, denn die werden euch ermutigen.
3. Mach dich nicht von Ritualen abhängig
Es gibt romantische Vorstellungen von der Schriftstellerei, die schwer auszurotten sind: Unsereins sitzt, während es draußen dunkel wird, sinnierend, die Feder gezückt, in einem Turmstübchen am Schreibtisch, wir brauchen immer frisch gebrauten Kaffee, um kreativ arbeiten zu können, das Zwitschern einer Amsel im Hintergrund, und wir kommen nur in die rechte Stimmung, wenn wir den Seidenkimono von Tante Maud tragen. Das ist alles Unsinn. Ich habe an Die Magie der kleinen Dinge zu allen möglichen Tageszeiten geschrieben, in Büros, in der U-Bahn, in Theatergarderoben. Als ich am Geheimnis der Muse geschrieben habe, sah ich aus, als wäre ich rückwärts durch die Büsche gezogen worden, und ich habe mich hauptsächlich von Käsecrackern ernährt. Wenn du auf ideale Arbeitsbedingungen wartest, kannst du lange warten. Manche brauchen Stille, manche brauchen Lärm – ich selbst brauchte nur die Wörter auf der Seite.
4. Schreib, was du willst
Niemand aus der Buchbranche hat erwartet, dass ein Roman, der im Amsterdam des 17. Jahrhunderts spielt und von einem Puppenhaus handelt, ein Bestseller sein wird. Ich auch nicht. Aber ich wollte genau dieses Buch schreiben. Schreibe nicht für den Markt, und unterschätze nicht die Macht deiner eigenen Leidenschaft.
5. Aller Anfang ist schwer
Es ist ein Paradox: Du kannst dein Buch nicht wirklich schreiben, bevor du es geschrieben hast. Schlag es dir aus dem Kopf – es wird sich eh fast alles wieder verändern. Finde dich damit ab, dass in diesem Stadium alles unvollkommen ist. Wenn die Figuren sich nicht so benehmen, wie sie sollen, wenn der Aufbau der verschiedenen Ebenen und ihre Abstufungen nicht stimmen, na und? Wie auch? Du hast es doch erst ein Mal geschrieben. Du bist auch nur ein Mensch, niemand kann erwarten, dass du das Tempo, den Ton, die fünfundfünfzig Figuren, die Bilder und Themen, die ganze Atmosphäre deines Romans auf Anhieb perfekt hinbekommst. Das alles wirst du in den folgenden Versionen nach und nach verbessern. Sei nicht zu streng mit dir am Anfang. Aber gib nicht auf, mach weiter.
NEIN, GIB NICHT AUF!
Aber wie soll ich das schaffen?, schreit ihr. Oh ja, ich weiß, es ist fürchterlich. Ich weiß es genau. Wenn ich selbst an diesen entsetzlichen Punkt gelange (und besonders an Tagen, in denen ein »t« vorkommt), neige ich zum Schreib oder stirb-Modus, um endlich etwas auf die Seite zu bekommen. Und dann mache ich oft die Erfahrung, dass ich erst beim Schreiben herausfinde, was ich eigentlich schreiben will. Meine ursprüngliche Idee hat sich vielleicht in Nichts aufgelöst, aber ich habe ein Stück Text, mögen es 30 oder 3000 Wörter sein, das mich weiter zur nächsten Szene bringt. Und obwohl ich vielleicht das meiste davon später wieder verwerfe, kann es doch sein, dass etwas davon Bestand hat, und das ist besser als nichts.
Sagen wir mal, du hast einen vollständigen ersten Entwurf deines Buchs. Das ist eine beachtliche Leistung, und du kannst dir jetzt bitte mal anerkennend auf die Schulter klopfen. Jetzt kann die wirkliche Arbeit beginnen.
6. Lies es laut
Ich habe das fünf Mal im Lauf der verschiedenen Überarbeitungen getan. Es ist mühsam, aber ungeheuer hilfreich. Wenn du still liest, korrigiert das Gehirn oft Dinge, ohne dass du es bemerkst. Manche Fehler und Schwächen fallen dir erst auf, wenn du den Rhythmus deiner Sätze laut hörst. Zum Beispiel schlechte Wortwahl, unpassende Bilder, Wortwiederholungen und vieles andere mehr. Mach es einfach mal.
7. Akzeptiere es, wenn etwas nicht funktioniert
Du wirst andere Lösungen finden. Wenn du feststellst, dass eine Mauer deinem Auto den Weg versperrt, fährst du dann weiter in die gleiche Richtung? Nö.
8. Du wirst Ablehnung erfahren
Bei aller Leidenschaft, die dich beseelt, solltest du dich darauf gefasst machen, dass nicht allen deine Arbeit gefallen wird. Manche Leute werden sie geradezu grauenhaft finden, und niemanden wird es kümmern, wie viel Fleiß und Mühe du aufgewendet hast.
Aber irgendwann wird dir jemand zu Hilfe kommen und dir eine Chance geben. Und dann wirst du bereit sein, sie zu nutzen.
9. Frage dich: »Warum mache ich das?«
Es wird dir helfen, dich auf dein Ziel zu konzentrieren. Als ich vor fünf Jahren meinen ersten Roman schrieb, war das ein Akt der Hoffnung. Ich war 27 und wollte, dass sich etwas in meinem Leben verändert. Ich wollte schreiben, und ich wollte, dass meine Arbeit veröffentlicht wird. Ich wollte mir beweisen, dass ich das schaffe. Aber jetzt weiß ich, dass es das Schreiben selbst war, was mich gerettet hat, nicht das Veröffentlichen.
10. Und schließlich:
Schreiben erfordert blindes Vertrauen ohne irgendwelche Sicherheiten. Aber das Wunderbare ist, dass die Person, in die du solches Vertrauen setzt, du selbst bist.
Aus dem Englischen von Peter Knecht