Während am anderen Ende der Welt der deutsche Innenminister den Streit mit der Kanzlerin eskalierte, indem er ein historisches Ultimatum stellte, nach dessen Ablauf er Geflüchtete bereits an der Landesgrenze ab- und zurückweisen würde, ummantelte eine Regierungskoalition etwas weiter südlich den 12-Stunden-Arbeitstag, der sich zweifellos gegen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie richtet, als Flexibilitätsentwurf. In Berlin trafen also zur gleichen Zeit einige vom Künstlerinnenkollektiv Nazis & Goldmund herbeigerufene Menschen zur Konferenz ÄNGST IS NOW A WELTANSCHAUUNG zusammen, um – wie überaus passend – über die himmelschreiende Erosion des Demokratischen in der deutschen Sprache und in allen europäischen Gesellschaften zu reden, zu lernen, und einen ersten Schritt zu gehen, der die eigene Gegenkraft bündelt.
Bestandsaufnahme, deutlich: Rechtsnationale Parteien, Organisationen, Netzprediger haben Zulauf, indem sie jeden sachlichen und fachlichen Diskurs durch emotional-persönliche Sprachspiele ersetzen. Bis in die höchsten Gremien hinein agieren sie mittlerweile aus der Sicherheit, dass ihr selbstgesetzter Feind (das sind alle anderen, huch, das sind auch wir) auf jede noch so dümmliche Provokation reagiert. Ihr Atemprozess: Landesgrenzen allseitig schließen, Sprachgrenzen einseitig öffnen. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, auch die Symbole umzuwidmen, sie rufen in Deutschland der Antifa »Nazis raus« zu, drohen der Regierung mit dem Grundgesetz und nehmen die Landesfahne auf ihren Demos in Geiselhaft. Der Soziologe Reinhard Olschanski, Inputgeber auf der Ängst-Konferenz und Autor zu den Themen Populismus und Ressentiment, beschrieb das Narrativ des völkischen Kopfes als Westernfilm. Der Feind habe das Herzland besetzt, dieses müsse befreit werden. Um mehr geht es nicht, um weniger auch nicht. Olschanski wies darauf hin, dass die Verfahren der Exklusion und Degradierung in der neoliberalen Gesellschaft immer schon angelegt sind. Parallel zu den Völkischen beackern beispielsweise Boulevardmedien das Feld des populistischen Sprechens, denn sie erheben den Klatsch zur Kategorie, Klatsch aber macht seit Jahrzehnten nichts anderes als uns Leser bzw. Zuschauer zu Komplizen – im Sprech über Dritte. Nur wird der Freibrief hier nicht über Geburtsort oder Machtmissbrauch der Anderen ausgestellt, sondern über ihre Medienprominenz.
Weckruf seitens der Initiatorinnen unnötig. Und doch war zu spüren, dass sie mit ihrer Einladung bei vielen von uns eine Sehnsucht getroffen hatten – weg (weck) vom Schreibtisch, hinein in die Berührung, die Solidarität. Der Fragenkatalog machte sich dicke. Nach sprachlichen und womöglich literarischen Strategien und möglichen Bündnisformen schürfen, eine dritte Arbeitsgruppe reflektierte die Rolle des Kulturbetriebs im oben beschriebenen Desaster.
In Gruppenzusammenhängen immer interessant zu beobachten: Welche Idee verfängt beim einen, löst aber bei der anderen überhaupt kein Echo aus. Zwei Pfade, so kristallisierte sich heraus, konnten wir uns durchs gute alte Sprachdickicht schlagen. Entweder man nahm das rechte Sprechen als Ausgangspunkt (Ehre, wem Leere gebührt), um es reaktiv zu kontern, gerade zu biegen oder ein weiteres Mal zu verdrehen. Ein befreundeter Lyriker merkte an, dass dabei die Gefahr bestehe, sich an der miesgemachten Sprache zu vergiften. Vielleicht doch besser abwarten, bis der Begriff Heimat keine Eigentumswohnung mehr darstellt? Ach, all die Pseudodebatten über Menschen und Dinge, die nicht ins Land gehörten, obwohl sie darinnen längst eine Tradition gegründet haben. All die »Leuchtkugeln und Nebelkerzen« (so der österreichische Autor Rick Reuther), »von denen immer nur diejenigen profitieren, die im Hintergrund weiter an den neoliberalen Stellschrauben drehen.« Womit wir vor dem ebenso überwucherten Eingang des zweiten Pfades standen: Augenmerk auf neue Begriffe. Die es natürlich nicht gibt. Aber die Lupe kann man schon halten – auf Sprachteile und Kombinationen, die bislang keinen Diskurs eröffneten. Solche Begriffe, das fanden wir alle, müssten nicht bloß in den postdemokratischen Raum der Rechten eingreifen, sondern dabei jene Themen setzen, die uns durch die Nebelkerzendebatten zusehends abhanden kommen. Wieviel Rassismus fließt bereits durch die Institutionen, was wirklich tun gegen Mietwucher und Altersarmut, überhaupt: Verteilungskämpfe, Zukunft der Arbeit, Grundeinkommen. »Da sagt doch die Sigrid zu mir: Du musst kein Feminist mehr werden, Hans-Dieter, um den gender pay gap zu schließen.« Da ist überhaupt kein Witz drin, nicht mal in den Vornamen. Aber warum wird ausgerechnet Gerechtigkeit als Mutter der Gebetsmühlen bezeichnet? Auch ein möglicher Weg zu mehr Lebensglück (ja!!!) wäre ja (nochmal ja!!!) eine inklusive Pädagogik, die kindliche Kontexterzeugung fördert, sich also den Erkenntnissen annähert, mit den fluiden genderqueeren Geschwistern Trial & Error als Testimonials. Die Schwierigkeit auch hier: Wir müssen Ideen in einen Wettbewerb schicken, dessen Gegenseite aus Wettbewerbsdenken besteht. »Können wir da Leichtigkeit erwarten, Hans-Dieter? Niemals können wir das.« »Nein, Sigrid, da hast du wohl Recht.«
Auch deshalb ließen B. Fleischmann & Band am Abend ihr Konzert in den Jim O’Rourke-Song münden: »Women of the world / take over / cause if you don’t / the world / will come to an end / and it won’t take long.« Und noch ein Lichtstreif: Jagoda Marinić gab auf der Ängst-Konferenz eindrücklich Zeugnis davon, dass die Erzählungen und womöglich sogar die Ängste gut ausgebildeter Zuwanderer der zweiten und dritten Generation langsam einsickern ins große öffentliche Ohr. Absurd, dass sie für eine Lobby streiten müssen, das wissen wir. Und haben natürlich (jetzt mal so als Deutsche) ebenso bezeugt, wie nun dreißig Jahre nach der Wende fast jeglicher ostdeutsche Diskurs aus den überregionalen Medien verschwunden ist. Also gibt es Schnittmengen, die derzeit auch aufgezeigt werden, das Defizit heißt überall Anerkennung. Reaktionen? Wer stark ist, fühlt sich auch integriert, obwohl sie gar nicht so behandelt wird. Und kämpft immer weiter für seine Grundrechte. Wer schwach ist, nimmt die Bierflasche mit der Ersatzflüssigkeit für Identität, jetzt bedruckt mit Identitär, der billigste Werbegag von allen, deutsches Reinheitsgebot, regionale Abfüllung, blabla, und nach zwei Flaschen fängst du schon an, aufräumen zu wollen, nach der dritten Flasche sagst du säubern, und es ist auch gar kein Bier, sondern ein grauenhaft dreckiger Fusel, aber, Flasche vier, jetzt ist schon alles egal, schau mal, der NSU-Westernfilm, schwarzweiß, siehe oben.
Die slowenische Autorin Anja Golob rief uns per Live-Schalte zu: »It matters. Because language is our business.« Unser Geschäft. Unser täglich Brot. Treuester Partner. Ein und Alles. You name it. We love our business. Sprache als Werkstoff der Erkenntnis, aber auch des Mitgefühls. Möglich wäre, sagte jemand, sie durch den Pidginwolf zu drehen, kannst du sehen, was rauskommt, ist vielleicht Haymat, Identitärätärä, sind Wörter (falsch ausgesprochen: vatan), mussu bissen mehr no’ brechen die Sprechen, also in die umgedreht Soldatenhelmets unserer räschtenräscher&vabräscher, aber why not, in die Suppe Spucki, aber nich anheizn, nua Heizdeggen teilen, ja, teilen für Heizdeggers.
Fehlt noch die übliche Entschuldigung, im gewohnt schwächlich-linksversifften P.C.-Sprech: Jetzt hab ich alles andere vergessen zu erwähnen.
Schlusswort ist aber noch wichtiger: Wir waren schon einige. Wir werden viele sein, Menschenfreunde. Und was da in der Luft hängt, auf der Leine, wir werden es nehmen, ausbreiten, wir werden es, in Kenntnis des offenen Widerspruchs, begründen.