Er war wirklich einer der wenigen deutschen Schriftsteller, die im Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus lebend geschrieben haben, was nicht publiziert werden durfte, was zu publizieren lebensgefährlich gewesen wäre: zum Beispiel die Schilderung des Hamburger Brandes nach den Bombenangriffen von 1943. Ein Autor, auf den man endlich die Bezeichnung der inneren Emigration anwenden könnte? Ja und nein. Nein, weil gerade sein literarischer Ansatz zeigt, daß es nicht um Emigration nach innen ging, sondern um hinhaltenden Widerstand, um die Reservation den Herrschenden gegenüber.
Hans Erich Nossack, geboren in Hamburg am 30. Januar 1901, gestorben in Hamburg am 2. November 1977. Sein Werk, das zunächst schmal und eher der kleinen Form verpflichtet war, hat sich seit dem Roman Spätestens im November, 1955, immer mehr in die Breite entwickelt. In gewissen Grenzen ist Nossack populär geworden und berühmt, und nichts hat ihn mehr verwundert. Ich erinnere, wie er mehrfach gesagt hat: Da schreibt man nun und versucht, schwierige Sachen auszudrücken, und plötzlich kommt jemand und sagt, man ist berühmt. – Und der Zusatz, daß das ja auch gar nicht so wichtig sei. Aber bei alldem ist er eins immer gewesen, unbequem. Er hat sich nicht angepaßt. Er hat die Reservation, die er in offener politischer Gegnerschaft zum Dritten Reich gezeigt hatte, nicht aufgegeben danach. Was er schrieb, sollte als Stachel verstanden werden, der gegen den Zeitgeist löckte.
Das zeigte sich manchmal auch im anekdotisch weiterzutragenden persönlichen Bereich. Ich erinnere mich, wie wir zufällig zusammen in einer Gruppe würdiger, meist älterer, meist höherrangiger Herren standen, draußen regnete es, und er, in eine plötzliche Stille hinein, laut und deutlich sagte: Da pißt es schon wieder. – Zum Ausdruck kam die Distanzierung von der ihm unangenehmen offiziellen Situation. So etwas konnte sich auch mit dem Literarischen mischen. Ich erinnere eine Lesung, die eine große Hamburger Buchhandlung zu seinen Ehren veranstaltet hatte, auf der er dann das Märchen von dem Prinzen vorlas, der, um das Leben kennenzulernen, ins Kino ging, wo er vor allem seine Krone in der Garderobe abgeben mußte. Er las das auch gegen den Strich, gegen die Ehrung, gegen den Geschmack der ihn verehrenden Zuhörer.
Das, will ich einmal sagen, Widerhakige ist ein Kennzeichen seiner Literatur im Großen wie im Kleinen, in den Themen, die er wählte, aber auch in der Erzählweise, ja im einzelnen Satzverlauf. Der Ton der Erzählungen ist eher trocken als anschaulich, der Erzählgang oft absichtlich umständlich, Nossack liebte das altertümliche Einschachteln. Er betonte gern, wie er ins Schriftdeutsch hinübergemogelte Wendungen aus dem Plattdeutschen verwendet hatte. Zugleich liebte er Parabel und Märchen, waren ihm zuzeiten diese konzentriert doppelsinnigen Formen lieber als die weitgespannte Strategie des Romans. Auch im Roman sind Parabel und Märchen gegenwärtig, kann sich der, oft topographisch sehr genau festgelegte, Realismus wie von selbst umwenden ins Märchen, ins nicht Realistische. Nicht ins, so würde ich sagen, Transzendente oder Phantastische, wie etwa bei Ernst Kreuder, mit dem er befreundet war. Sondern hinter dem lokalisierbar Realistischen waren für ihn und sind in all seinen Büchern andere Ebenen der Realität zu erkennen, scheinen sie auf wie die Landschaft hinter dem Strom, die Elbufer und Traumufer zugleich ist.
Nossack war Hamburger, hat eine Weile diese Stadt geflohen, ist am Ende jedoch wieder in sie zurückgekehrt. Das letzte Mal habe ich ihn gesehen, wie er von der Rothenbaumchaussee in die Hansastraße an der Ecke des Lokals »Funk-Eck«, wo er in den letzten Jahren Mittag zu essen pflegte, zu seiner Wohnung ging. Er ist für mich ein Hamburger Schriftsteller und wird so, unlösbar mit dieser Stadt verbunden, in meinem Gedächtnis bleiben. Er war für mich das Beispiel aus der Generation meiner Eltern, und ich bedauere, daß er tot ist.
Nachruf auf Hans Erich Nossack. – Sendung: DLF, 9.11.1977. (19.10-19.30). 4’40. (Sprecher: H. H.).