PROSANOVA | 17 ist ein Festival für junge Literatur, das seit seiner Gründung 2005 alle drei Jahre in Hildesheim stattfindet, dieses Jahr vom 8. bis 11. Juni. Veranstaltet wird es von den Herausgeber°innen der BELLA triste, Unterstützung bei der Planung und Durchführung erhalten sie von Studierenden des Fachbereichs 2 der Universität Hildesheim. PROSANOVA begreift sich als Plattform für junge Literatur – deren Förderung und Verbreitung. Helene Bukowski, Teil der diesjährigen künstlerischen Leitung, berichtet hier von den Vorbereitungen.
1. RÄUME
Viermal hat PROSANOVA bereits stattgefunden und genauso oft ist es umgezogen, immer dahin, wo gerade keine°r war, wo etwas leer stand. Das Zauberwort hieß stets »Zwischennutzung«. Eine Zeitlang haben wir es so oft gesagt – in Büros von Immobilienhaien, oder am Telefon, im Gespräch mit Grundstücksbesitzer°innen –, dass uns der Mund ganz fusselig wurde. Im März dieses Jahres erhielten wir dann zum ersten Mal keine Absage und unterschrieben ein paar Wochen später drei verschiedene Mietverträge.
Nun bespielen wir für einen kurzen Zeitraum Räume, die eigentlich mal für etwas anderes gebaut worden sind: Wir funktionieren einen ehemaligen Aldi, eine alte Eisenhalle, ein Teppichlager und einen früheren Kiosk um und bauen dort das temporäre Festivalgelände auf. Diesmal sogar mit Industrie-Charme-Garten.
2. NACHHALTIGKEIT
Bei PROSANOVA | 17 versuchen wir, Plastik zu vermeiden. Strohhalme sind bei uns aus Stroh und kompostierbar, das Catering für die Künstler°innen wird bio und vegan sein und 90% unserer Ausstattung haben wir in eBay-Kleinanzeigen oder auf dem Sperrmüll gefunden. Nachhaltig sind wir trotzdem nicht, denn »Nachhaltigkeit« und »Festival« sind zwei entgegengesetzte Pole. – Da organisiert und baut man zwei Jahre an so einem Ding, das dann nur für vier Tage zu erleben ist und das wir im Anschluss innerhalb von drei Wochen wieder abbauen werden. Die Frage kann sich somit schon gestellt werden, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, ein Festival zu veranstalten.
3. AUTOR°INNEN
Der Literaturbetrieb hat ein strukturelles Sexismus-Problem. Es gärt in den Verlagen, Literaturhäusern, Schreibschulen und bei Wettbewerben. Oft gesagt wurde es schon, hören wollen es immer noch nicht alle. Unsere Konsequenz daraus: im Randgebiet des Betriebs, mit ein bisschen Entfernung von alteingesessenen Institutionen, den Versuch starten, es anders zu machen.
Damit die Autoren auf PROSANOVA | 17 nicht in der Überzahl sind, haben wir sehr viel gelesen und nicht bloß auf die Namen vertraut, die eh schon jede°r kennt. Oft lohnt es sich, die vorgetrampelten Wege zu verlassen. Wir hätten am Anfang auch nicht gedacht, dass das so einfach geht.
4. SELBSTAUSBEUTUNG
Als Herausgeber°innen der BELLA triste arbeiten wir ehrenamtlich. Als künstlerische Leitung von PROSANOVA | 17 arbeiten wir immerhin für einen Hunger-, aber ganz sicher nicht für den Mindestlohn. Während des Studiums ist das noch okay, wir sind ja noch jung, sagen wir uns als Mantra vor dem Schlafengehen und verdrängen die Frage, wie lange das noch so gehen wird, lieber auf die Zeit nach dem Festival. Dann also, wenn wir wieder in Cafés und auf Messen jobben werden oder unbezahlte Praktika absolvieren. Schon zu Beginn unseres Studiums wurde betont, dass sich mit unseren Studiengängen später in den seltensten Fällen gut Geld verdienen lässt. Es gibt also Arbeit, die Geld bringt, und Arbeit, die kein Geld bringt, obwohl es für sie weit mehr Fähigkeiten braucht als für das Benutzen einer Siebträgermaschine.
5. HONORARE
Die eingeladenen Künstler°innen werden nach Anzahl der Formate bezahlt, also je nachdem, ob sie an drei, zwei oder einem Format beteiligt sind. Fast alle von ihnen werden so bezahlt. Einen Unterschied zwischen bekannten und weniger bekannten Autor°innen machen wir nicht. Das finden wir fair. Was nicht fair ist, ist, dass der Aufwand der Formate keinen Einfluss auf das Honorar hat. Aber wir lernen dazu und sagen, dass wir das bedenken würden, sollten wir jemals wieder ein Literaturfestival veranstalten.
Insgesamt ist das Honorar der Künstler°innen mittelmäßig. Das Festival selbst finanziert sich fast ausschließlich über Fördergelder. Es ist also Geld da, aber ein Festival ist eben auch eine teure Angelegenheit. Irgendwann mussten wir uns entscheiden, ob wir lieber weniger Autor°innen und dafür bessere Honorare oder mehr Autor°innen – ergo: ein größeres Programm – und niedrigere Honorare wollten. Wir haben uns für Letzteres entschieden und sind uns bewusst, dass diese Entscheidung zu kritisieren ist. Aber vielleicht gehört es auch dazu, dass die Augen größer sind als der Magen, wenn man zum ersten Mal ein solches Literaturfestival organisiert.
6. KOLLEKTIVITÄT
Ohne die Arbeit der Praktikant°innen wäre PROSANOVA | 17 nicht möglich, und trotzdem bekommen sie noch weniger als wir. Ihr Honorar ist weniger ein Honorar, sondern vielmehr eine minimale Aufwandsentschädigung. Diese ist trotzdem der Versuch, wenigstens bei PROSANOVA | 17 keine völlig unbezahlten Praktika anzubieten, wie es im Kulturbetrieb gang und gäbe ist.
Würden wir alle an dem Festival beteiligten Personen angemessen entlohnen, könnten wir nur eine Handvoll Autor°innen einladen, das Festivalgelände müsste sich auf einen einzigen Raum beschränken, aufwändige Dekorationen wären nicht zu finden und die Getränke müssten sich am Automaten gezogen werden.
7. ZUSAMMENARBEIT
Bei Literaturfestivals ist oft ein Wettbewerb Teil des Programms, und in den letzten Jahren war das auch bei PROSANOVA der Fall. Da gibt es dann Wettlesen und Preisgelder und am Ende vielleicht Sekt. Den Sekt finden wir gut, beim Rest sind wir skeptisch und haben es deshalb lieber wie das 4+1 Festival des Schauspiels Leipzig gemacht: kein Wettbewerb, stattdessen ein Residenz-Programm, keine Verlierer°innen, stattdessen gemeinsame Workshops und Austauschmöglichkeiten. Eine Jury mussten wir leider trotzdem bilden: Aus allen Einsendungen wählten wir acht Teilnehmer°innen aus, die wir im Vorfeld des Festivals nach Hildesheim holen, wo sie an Textwerkstätten und Workshops teilnehmen können, ohne dass am Ende nur eine°r mit einem Blumenstrauß und einem Scheck nach Hause geht.
8. KULTURELLE BILDUNG
Das Fach Deutsch kann in den wenigsten Schulen als aufregend bezeichnet werden. Wenn wir uns an unsere Schulzeit erinnern, sind es nicht nur die Räume gewesen, die verstaubt waren. Im Deutschunterricht scheint man verpasst zu haben, dass es nach der Nachkriegsliteratur nicht vorbei war. Junge, deutschsprachige Literatur wird im Schulunterricht oft genug ausgeklammert. Wie aber können Schüler°innen für Literatur interessiert werden, wenn sie überhaupt nicht wissen, dass es auch Texte gibt, die mit ihren eigenen Leben etwas zu tun haben, wenn sie von niemandem erfahren, dass nicht nur alte, weiße Männer Bücher schreiben und dass es Texte gibt, die genauso spannend sind wie Netflix-Serien?
Bereits 2014 gab es im Rahmen von PROSANOVA Schreib-Workshops an Hildesheimer Schulen. Auch dieses Jahr sind wir dort wieder unterwegs und versuchen, den Lehrplan ein bisschen aufzumischen.
9. PARTYS
Schon immer waren die Partys fester Bestandteil des Festivalprogramms, denn wo gelesen wird, wird auch getanzt. Und getrunken sowieso. Auch 2017 wird es nicht anders sein. Weil für uns aber Partys auch politisch sein können, sind wir auch beim Booking unseren feministischen Ansprüchen treu geblieben. Wir zeigen der männerdominierten DJ-Szene den Mittelfinger und haben bis auf eine Ausnahme nur female acts eingeladen.
10. BLUT
Der wohl stabilste Pfeiler: Hätten nicht bereits sehr viele Menschen all ihr Herzblut in dieses Festival gesteckt, würde es jetzt, nach zwölf Jahren, sicherlich nicht mehr existieren, sondern wäre eine einmalige Sache geblieben. So aber hat sich da etwas entwickelt und etabliert. Studierende haben die Möglichkeit, im Betrieb mitzumischen, an den richtigen Stellen nachzuhaken, Fragen zu stellen, Dinge zu wagen, zu scheitern oder auch einfach mal nicht alles so verstockt zu sehen. Die künstlerische Leitung des Festivals ist immer eine andere, und vielleicht ist PROSANOVA gerade deshalb unsterblich. Es besteht jedenfalls erst gar nicht die Möglichkeit, dass sich da der immer gleiche Trott einschleicht oder die Lethargie gewinnt.
2020 werden wieder andere Studierende übernehmen, vielleicht werden sie andere Eckpfeiler bauen wollen, das Fundament aber bleibt bestehen: Lasst uns zusammen ein Literaturfestival für junge Literatur schmeißen, und lasst es uns nach unseren Vorstellungen gestalten.