Vor einem Jahr erschien Heinz Helles Debütroman Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin. Damals lebte er in Biel, heute in Zürich, dazwischen lagen Berlin und eine lange Reise. Im Herbst erscheint sein zweiter Roman.
Man sagt mir manchmal, ich sei gar nicht da. Ich weiß dann nicht recht, was ich antworten soll. Meistens widerspreche ich: Doch, doch, sage ich, ich bin da. Man kann mich sehen. Man kann mich riechen. Man könnte mich, wenn man die Hand nach mir ausstreckte, sogar anfassen. All das wäre nicht möglich, wenn ich nicht da wäre. Mein Gegenüber nickt dann normalerweise und wechselt das Thema.
Ich war oft da im vergangenen Jahr. Mehr als je zuvor in meinem Leben. Ich war da, als wir vor sechs Wochen doch eine Wohnung in Zürich fanden und Biel endgültig verließen, wo wir fünf Jahre gelebt, gearbeitet und ein Kind bekommen hatten. Ich war da, als wir im letzten Oktober von einer langen Reise zurückkamen, zurück nach Biel, zum letzten Mal, was wir im letzten Oktober aber noch nicht wussten, wir kamen zurück nach Hause und dachten, hier bleiben wir jetzt.
Ich war da, als ich im September in Acciaroli jeden Abend Bier bestellte, weil ich mich mit Wein nicht auskenne. Als wir in Sapri jeden Morgen Nutella mit Croissants aßen. Ich war da, als wir in Brindisi wieder festen Boden unter den Füßen spürten. Als uns auf der Fahrt über die Adria ein Kühlschrank entgegen kam. Ich war da, als wir uns in Vranje fragten, wieso die Häuser so kaputt sind und die Autos so neu, so schwarz und von Mercedes. Ich war da, als wir Belgrad schön fanden. Ich war da, als wir in Ivanicgrad ein versalzenes Rührei in eine Zeitung einrollten und mitnahmen nach draußen und dann heimlich wegwarfen, weil uns der Koch so leid tat, der auch der Kellner war und der Rezeptionist, und als er die leeren Teller abräumte und fragte, ob alles in Ordnung gewesen war, sagten wir danke, ja. Ich war da, als wir merkten, dass Trient nicht in Slowenien liegt.
Ich war da, als wir im August Berlin verließen, obwohl wir gerade angefangen hatten, uns dort zu Hause zu fühlen. Ich war da, als wir im Januar davor in einem Keller in Zürich lebten und darauf warteten, dass unsere Wohnung in Berlin frei wurde. Ich war da, als ich in diesem Keller ein Paket öffnete. Das weiß ich ganz genau.
Ich bin mir deshalb so sicher, weil ich später am selben Abend fremden Menschen vorlas. Ich las Sätze, die ich selbst geschrieben hatte. Die Blätter, auf denen die Sätze standen, die ich las, waren aus feinem Papier und steckten in einem festen Einband, und außen auf dem Einband stand mein Name, und ich fand es unglaublich, dass da mein Name stand und dass diese Menschen gekommen waren, um sich anzuhören, was ich geschrieben hatte. Ich konnte die Sätze, die ich las, sehen. Ich konnte sie riechen. Ich konnte sie, wenn ich die Hand danach ausstreckte, sogar anfassen.
All das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht da gewesen wäre.
Als ich zurück in den Keller kam, legte ich mein Buch in die Tasche. Am nächsten Morgen stellte ich die Tasche in den Kofferraum. Dann fuhren wir los.