Kurz vor dem Umzug hat mir ein Freund einen Rat gegeben, der half, das harmonische Verhältnis zwischen mir und meinen Büchern auch während des Einladens in den LKW zu wahren. Die in den Schweizer Supermärkten Coop und Migros erhältlichen Papiertüten sind groß genug, um zwei mittlere Stöße Bücher zu fassen, gleichzeitig sind sie zu klein, um wirklich schwer zu werden. Man kann je eine Tüte in eine Hand nehmen und aufrecht die Treppe hinunter gehen und später wieder hinauf. So bleiben die Kisten leicht und die Helfer halbwegs gut gelaunt.
Ich glaube nicht, dass ich meine Bücher sortieren werde. Auch wenn ich kein gutes Namensgedächtnis habe, finde ich, was ich suche, meistens sehr schnell. Offenbar kann ich mir Farben und Formate besser merken. Außerdem ergibt das zufällige Einräumen eines Bücherregals manchmal schöne Kombinationen. Beim Einpacken in der alten Wohnung stellte ich fest, dass Hermann Brochs Die Unbekannte Größe neben Montaigne stand, Von der Freundschaft, und daneben Gerhard Roth: Aus Sicht des Gehirns.
Wenn ich die Stöße vor mir am Boden betrachte und versuche, festzustellen, welche der Bücher mir besonders am Herzen liegen, fallen mir natürlich zuerst die auf, die ich sehe. End Zone von Don DeLillo. 1979 von Christian Kracht. Dann die, die ich gerade nicht sehe, deren Anwesenheit ich aber fast immer spüre: Dostojewski, Wittgenstein, Kertész; Heiner Müller, Houellebecq. Die Hitler-Biografie von Joachim Fest; Echolot von Walter Kempowski. Die Heilige Schrift mit Illustrationen von Gustave Doré. Luftkrieg und Literatur von W. G. Sebald. Der Gödelsche Beweis von Nagel und Newman, Arno Schmidt und Erich Kästners Fabian.
Und dann fällt mir ein, dass einige der wichtigsten Bücher gar nicht hier sind. Underworld von Don DeLillo, zum Beispiel, und Lethargie von Wojciech Kuczok. Das passiert mir immer wieder. Ich lese etwas zu Ende, meistens abends, kurz vor dem Einschlafen, und plötzlich habe ich feuchte Augen, weil es so schön ist und so vorbei. Dann schlafe ich ein. Am nächsten Tag gehe ich den Menschen in meinem Umfeld solange auf die Nerven, bis sich jemand findet, dem ich das Buch leihen darf. Manchmal für immer.