Es fängt damit an, dass wir Katja Petrowskaja im Frühstücksraum treffen, sie lacht und sieht Nelly an und sagt: Mann, ist die groß geworden. Es fängt damit an, dass ich mit Doris Plöschberger in der Lobby sitze und wir Textstellen aussuchen für meine Lesung morgen, ich bin langsam vom Bier gestern, aber ihre Konzentration steckt mich an, also finden wir welche. Es fängt damit an, dass ich mit Matthias Nawrat vor der Halle beim Rauchen stehe und denke, verdammt, ich muss ja noch Fotos machen.
Da, der Mülleimer, sagt Matthias Nawrat. Da stehen viele Bierflaschen drauf. Also halte ich die Kamera in Richtung des Mülleimers, und neben dem Mülleimer steht ein Mann in einer engen Lederjacke und mit gegelten Haaren, und er sieht, dass ich eine Kamera in Richtung des Mülleimers halte, aber weil er neben dem Mülleimer steht, ist es auch seine Richtung, also lächelt er unprätentios und volksnah und sagt, wollt ihr ein Foto mit mir? Ich sage ja, weil ich, obwohl mich noch nie jemand gefragt hat, ob ich ein Foto mit ihm will, das Gefühl habe, dass man so eine Frage nicht verneint. Der Mann mit der Lederjacke breitet unprätentiös und volksnah seinen Arm aus, und ich stelle mich hinein, lege auch meinen Arm um ihn, und Matthias Nawrat macht ein Foto, dann drücke ich dem Mann mit der Lederjacke die Hand, sage herzlichen Dank, und dann gehe ich mit Matthias Nawrat so unauffällig und schnell wie möglich so weit wie möglich von dem Mann weg, und dann lachen wir uns kaputt und fragen uns, wer um Himmels willen war das?
Ich gehe zurück zum Suhrkamp-Stand, es sind viele Bücher hier und Menschen, die in Büchern blättern, und Leute, die an Tischen sitzen, und Alexandra Richter gibt mir Gummibärchen und ein Glas Wasser. Dann rede ich nacheinander zweimal je eine halbe Stunde mit Radiojournalisten über die philosophischen Aspekte in meinem Roman, und ich merke, dass ich es sehr schwierig finde, über Philosophie zu reden, deswegen habe ich ja einen Roman geschrieben und keine Dissertation, aber ich rede dann doch fast die ganze Zeit über Philosophie, weil es zwei Interviews à dreißig Minuten dauert, ehe mir die einzige passende Antwort auf die Fragen nach der Philosophie in meinem Roman einfällt, nämlich dass ich es schwierig finde, darüber zu reden, deswegen habe ich ja einen Roman geschrieben und keine Dissertation, und das sage ich dann, und dann ist für heute mein letzter Termin auf der Messe vorbei.
Ich gehe nochmal zum Stand, zeige Alexandra Richter das Bild von dem Typen mit der Lederjacke, und sie sagt, dass das ein Moderator von RTL ist, der Selbstversuche im Fernsehen macht, zum Beispiel einen Monat lang saufen. Dann sitze ich noch ein bisschen am Stand, lese in Clemens Setz’ Vogelstraußtrompete und sehe mir Nicolas Mahlers Mann ohne Eigenschaften an, und dann sehe ich nach oben, sehe grelles, elektrisches Licht, Glas und Stahl und die Sonne, die sich so oft spiegelt, dass sie aus allen Richtungen zu scheinen scheint, und dann schließe ich einen Moment die Augen und höre mir noch einmal in Ruhe an, wie laut es hier ist. Dann verlasse ich das Gelände, ganz langsam, vorbei an Menschen in Kostümen, vorbei an Marmor, Stahl, Lärm und Glas, an Wiesen und einem Teich.
Es hört damit auf, dass ich von der Straßenbahn aus die Pinguine an einer Hauswand sehe. Es hört damit auf, dass ich Nelly zuschaue, wie sie im Licht der tief stehenden Sonne Seifenblasen nachläuft. Es hört damit auf, dass ich in die Kolonnadenstraße gehe und eine großartige Lesung über Miklós Klaus Rózsa höre, in der es um den Schweizer Geheimdienst geht und um Straßenbahnentführungen. Es hört damit auf, dass ich die Lesung früher verlassen muss, um ein paar Häuser weiter im Kunstverein aus der neuen BELLA Triste zu lesen. Es hört damit auf, dass ich um zehn endlich beim Abendessen des Suhrkamp Verlags ankomme und mir Alexandra Richter sofort ein Glas Wein besorgt und ein Schnitzel bestellt. Es hört damit auf, dass Julia Weber schon im Bett ist, als ich ins Hotel komme, und sie sagt, dass sie keinen Wein mehr trinken will und dass ich ja eh noch einen Text für den Suhrkamp-Blog schreiben muss. Es hört damit auf, dass ich wieder runter gehe, mich in der Lobby in einen Sessel setze, dicht neben dem Fenster, noch ein Bier bestelle und anfange zu schreiben. Es hört damit auf, dass jemand an die Scheibe klopft. Es ist Saša Stanišić, und er kommt kurz rein, hallo sagen, und dann fragt er mich, schreibst du? Und ich sage ja. Und dann geht er, und ich schreibe diesen Text. Und jetzt hört es wirklich auf. Wahrscheinlich. Ich geh noch mal raus, eine rauchen.