»Nicht dazuzugehören hatte immer seinen Preis
Doch das Blut auf meinem Shirt war niemals nur meins«
K.I.Z., AMG Mercedes
Der Sommer war groß, wie unsere Pullover, Champion, mit spitzen Kapuzen, und wir hatten sie auf und die Hände in den Taschen und gingen gebückt, und wir liefen vom künstlichen See bei den Hochhäusern, wo wir abends manchmal Angst vor den Türken hatten, vorbei am Fußballplatz, durch das Wäldchen zu unserer, naja, Hood, wo die Häuser Gärten hatten und Autos davor, und wo keine Türken wohnten, und je weniger Angst wir hatten, desto bedrohlicher kamen wir uns vor, und desto mehr hassten wir uns reiche, weiße Deutsche, verdammte Rassisten.
Es wäre so cool, wenn wir schwarz wären, sagte einer von uns.
Ja. Schwarze bewegen sich einfach viel eleganter, sagte der andere.
Wir hießen Ludwig und Heinz, und wir nannten uns East Side Posse, ESP, München Ost, Oida, und der coolste Sprüher im Jugendzentrum hatte unseren Namen auf die Rücken unserer Kapuzenpullis gemalt, und wir trugen sie vorbei an Jägerzäunen und Fichten und geparkten Mercedes-Limousinen durch die Nachmittagshitze wie eine Kriegserklärung, die niemand entgegennahm.
Am Vorabend hatten wir auf der Schulparty gegen den Vietnamkrieg gerappt, was mir im Nachhinein komisch vorkommt, weil der Vietnamkrieg auch Anfang der Neunziger schon lange vorbei war, aber wir rappten auf Englisch, und meine Stimme war noch ganz hoch, also verstanden vermutlich die wenigsten, was wir da sagten, außer wir sagten »Jump«, denn dann sprangen ein paar von ihnen tatsächlich in die Höhe.
An welcher Stelle in unserem vietnamkriegskritischen Text wir die Aufforderung »Jump« eingebaut hatten, weiß ich nicht mehr genau, vielleicht kam sie auch später, als unsere zwei Lieder vorbei waren (das zweite Lied prangerte die Situation der Schwarzen in South Central Los Angeles an), aber die Crowd des Ernst-Mach-Gymnasiums hatte noch lange nicht genug, und dann begann Ludwig zu freestylen, und ich versteckte mich hinter dem Vorhang, weil ich nicht freestylen konnte, und obwohl er mich immer wieder durchs Mikrofon aufforderte, aus meinem Versteck herauszukommen, und das Publikum ihn dabei unterstützte, blieb ich hinter dem Vorhang und hoffte, dass es vorbeiging, was es auch tat. Kurz danach fing ich an, Skateboard zu fahren, und hielt meine Fresse.
Heute glaube ich, dass ich damals nicht wieder hinter dem Vorhang hervorkommen konnte, weil die Sprache, die ich benutzt hatte, nicht meine eigene war. Auch die Wut, der Hass, die Verzweiflung, von denen ich erzählte, gehörten nicht mir; ich hatte mich ihrer nur bedient bei dem Versuch, ein Ich zu konstruieren.
Vor ein paar Wochen saß ich im Zug nach München und hörte das neue Album Hurra die Welt geht unter von K.I.Z. Und auf einmal wurde mir klar, warum ich das, was sie machen, so schön finde.
Nicht, weil sie die Proll-Attitüde des Gangster Rap intellektuell brechen (»Meine Lehrer haben gesagt, ich wär‘ ein fauler Spast / Doch heute schreien die Nutten ›Ja!‹, wie im Sport Palast«). Nicht, weil sie das Prinzip des Diss bis zur völligen Auflösung übertreiben (»Du und mein Schwanz / Es ist Dinner-for-one / Deine Nachgeburt hat das größere Zimmer bekommen«). Nicht, weil sie politisch sind (»Wir helfen Kindern in der dritten Welt mit Waffen / ‘Ne Frau als Kanzlerin, wie fortschrittlich ist das denn?«). Und auch nicht, weil sie die gesellschaftlich diktierte Sehnsucht nach der ewigen romantischen Liebe als psychische Krankheit entlarven (»Ich bin doch dein Schmusebär und du meine Diddl Maus / Ich mach alles was du willst für dich und was du nicht willst auch«).
Sondern weil sie ihre eigene Sprache erfunden haben. Eine Sprache, mit der sie das Rap Game als Ganzes inhaltlich und ästhetisch überwinden. Damit sie da bleiben können, von wo sie herkommen: draußen.
»Du bist gerade im Club, auf Nase, mit den Mädels
Und ich ritze diesen Text in deinen AMG Mercedes.
Wir stehen vor deiner Villa und du hörst uns schreien
Wir sind das Letzte und werden die Ersten sein.«
Als ich diesen Refrain das erste Mal hörte, hatte ich Tränen in den Augen. Ich war zutiefst dankbar. Dafür, auf so wunderbare Weise an meine eigene Jugend erinnert zu werden. Und dafür, dass sie vorbei ist.
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