In unregelmäßiger Folge werden an dieser Stelle Berichte aus der Werkstatt der Übersetzungsrevision des Ulysses vorgestellt, die einen Eindruck davon vermitteln sollen, auf welchen Überlegungen die vorgenommenen Änderungen beruhen. – Den Anfang macht Harald Beck, der zehn Jahre lang an der Revision gearbeitet hat. Aus rechtlichen Gründen wird die revidierte Ulysses-Ausgabe nicht erscheinen. Das Vorwort von Harald Beck können Sie hier nachlesen.
»›Woran arbeiten Sie?‹, wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete:
›Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.‹«
(Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner)
Übersetzen ist ein asymptotisches Handwerk. Original und Übersetzung fallen nie zusammen. Wie akribisch sich der Übersetzer auch dem Original sprachlich annähern mag, er kann weder den lokalen Referenzbereich eines Wortes noch seine lokalen Konnotationen übertragen. Kein Zweifel, »bread« bedeutet Brot, aber was das Wort im englisch- oder deutschsprachigen Leser visuell, auditiv, taktil, olfaktorisch und gustativ heraufbeschwört, kommt kaum je zur Deckung. (Wenn die Hauptfigur des Ulysses, Leopold Bloom, beispielsweise an »turnovers« denkt, wird selbst ein englischer Muttersprachler rätseln, wie dieses Brot denn aussehen und beschaffen sein mag, wenn er nicht gerade in Dublin aufgewachsen ist.) Um Stephen Dedalus, einer weiteren Figur des Joyce’schen Kosmos, das Wort aus dem Mund zu nehmen: Der Übersetzer oder Bearbeiter einer Übersetzung ist immer nur »almosting it«, er kann dem Original bestenfalls »beinäher kommen«.
Das Original: Was so eindeutig und verlässlich klingt, war in diesem Fall zunächst alles andere als das. Ein Text von der Länge und Komplexität des Ulysses, in schwierigen sieben Exil-Jahren, von 1914 bis 1921 in Triest, Zürich und Locarno, wieder Triest und schließlich Paris entstanden, von zahllosen, oft von seiner Komplexität überforderten Typisten abgeschrieben, aus Gründen der Zensur in einer französischen Druckerei gesetzt, von einem schwer augenleidenden Verfasser korrigiert und bei dieser Gelegenheit aus Stapeln systematisch angelegter Notizen drastisch erweitert und schließlich unter dem Druck eines ominösen Publikationstermins überhastet fertiggestellt – das verheißt kein vertrauenswürdiges Original.
Erst eine Rekonstruktion der vielfach abenteuerlichen Textgenese auf der Grundlage der umfangreichen, aber eben doch nicht vollständig zur Verfügung stehenden Notizen, Manuskripte, Typoskripte und Korrekturfahnen führte schließlich nach sieben Jahren Arbeit in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt unter der Leitung von Hans Walter Gabler 1984 zu einer kritischen und synoptischen Edition des Romans, die sich seitdem weltweit als Standardreferenztext der Joyce-Forschung durchgesetzt und bewährt hat.
Die Übersetzung: Die erste des Ulysses überhaupt von Georg Goyert war, vier Jahre nach Erscheinen der Großstadt-Odyssee begonnen, eine beeindruckende Leistung, als sie im Jahr 1927 erschien. Arno Schmidts hämischer Kritik, die den Vorteil der retrospektiven Überlegenheit auskosten konnte, die ihr drei Jahrzehnte Joyce-Rezeption verschafften, fehlt es an historischem Bewusstsein: Ende der 20er-Jahre war ein erstes tastendes Verständnis des Jahrhundertromans, seiner bahnbrechenden Erzählexperimente und der Bedeutung seines Dubliner Weltalltags allenfalls im Aufkeimen, und Goyert standen weder Stuart Gilberts, Frank Budgens noch Richard Ellmanns wichtige erste Orientierungshilfen zu Verfügung, geschweige denn der von Schmidt vielleicht zu Rate gezogene Wortindex von Miles Hanley aus dem Jahr 1937. Darüber hinaus konnten die verfügbaren Wörterbücher in vielen Fällen auch nicht annähernd verlässlichen Aufschluss über das 30 000 Wörter umfassende, aus den unterschiedlichsten Epochen und Regionen stammende, vielschichtige Vokabular des Ulysses geben.
Knapp 50 Jahre danach folgte 1975 Hans Wollschlägers gefeierte Neu-Übersetzung, die nun einer schnell wachsenden, weitgehend enthusiastischen deutschen Leserschaft erstmals eine glaubhafte Vorstellung von der sprachlichen Vielfalt und Virtuosität des Originals vermitteln konnte. Sie basierte allerdings noch auf einer unzuverlässigen Textvorlage aus den 60er-Jahren, der Bodley-Head- oder Random-House-Ausgabe, enthielt aber bereits einzelne Textkorrekturen zu fehlerhaften Stellen, die in der Zwischenzeit entdeckt worden waren.
Dreißig Jahre später, im Februar 2007, stimmte Hans Wollschläger bei einem Treffen in seinem Haus in Dörflis zu, mit einem kleinen Team von Beratern seine Übersetzung auf der Grundlage der kritischen Edition des Originals zu überarbeiten und dabei neue Erkenntnisse der lexikologischen Forschung und der beträchtlich angewachsenen Kommentierung des Ulysses zu berücksichtigen. Nach seinem plötzlichen Tod wenige Wochen danach, entschloss sich der Verlag, die geplante Revision trotzdem in die Wege zu leiten. Zehn Jahre später ist sie nun abgeschlossen. Zum Team gehörten von 2007 bis 2009 Harald Beck, Dirk Schulze und Dirk Vanderbeke, von 2009 bis 2017 Harald Beck, Ruth Frehner und Ursula Zeller, Kuratorinnen der Zürcher James Joyce Stiftung. Besonderer Erwähnung bedarf die großzügige Unterstützung der Revisionsarbeit durch Hans Walter Gabler und den Mastermind der englischen Lexikografie, John Simpson, bis 2013 Chief Editor des Oxford English Dictionary. Und wie schon bei Hans Wollschlägers ursprünglicher Übersetzung stand Fritz Senn, Direktor der Zürcher James Joyce Stiftung, auch der revidierten Übersetzung als Berater zur Verfügung, wiewohl er insgeheim überzeugt ist, dass sich Ulysses nicht übersetzen lässt.
Lesen Sie hier das Vorwort von Harald Beck zur revidierten Ulysses-Werkausgabe »