Machen wir uns nichts vor. Als »die Mannschaft« vergangenen Sonntag in Lille ihr erstes Spiel bei der EM bestritt, war vieles so wie immer. Fan mit Fahne vor Leinwand, Mehmet bei Matthias, »Manu« im Tor. Auch ein Kapitän hat sich rechtzeitig gefunden. – Neu aber war, dass einer fehlte, als Gerd Gottlob aufgekratzt die Aufstellungen vorlas. Dass einer fehlte, der doch gar nicht »wegzudenken« war aus »der deutschen Elf«. Dass Miroslav Klose in Lille nicht dabei war. Zeit für eine Erinnerung. Hans-Ulrich Treichel über den stillen Helden aus Oppeln.
Wenn ich an meine Kindheit denke, muss ich an Egon denken. Egon stammte aus meinem westfälischen Heimatort und hatte es bis zum Bundesligaspieler gebracht. Fortuna Düsseldorf. Fortuna! Welch ein Glück. Egon war der Held meiner frühen Jahre. In den Sommerferien spielte er im Freibad mit uns Fußball. Egon war dünn und hatte zugleich viele Muskeln. Egon war ein Wunder.
Später und als ich älter war, kamen neue Helden. Keine Fußballer, sondern Musiker. Bob Dylan, John Lennon. Und bald darauf die Philosophen. Alles Franzosen: Sartre, Foucault, Derrida. An denen hatte ich lange zu knabbern.
Bis eines Tages, da war ich schon alt und weise, Miroslav Klose an meinem Sternenhimmel erschien. Geboren in Oppeln. Ein Pole. Ich war begeistert. Ich war doch auch ein Pole. Eine Art Pole. Ein Flüchtlingskind. Ein Vertriebenenjunge.
Wir Polen müssen zusammenhalten. Ich hielt immer zu Miroslav Klose. Und er hielt zu mir, wenn er durch eine vierfache brasilianische Abwehrfront hindurchstürmte und eines seiner einzigartigen Tore schoss.
Glücklich, das Land, das keine Helden braucht, schrieb der Dichter Bertolt Brecht. Er kannte Miroslav Klose nicht. Miroslav Josef Klose, um genau zu sein.