20. September. Mit dem Bayerischen Rundfunk im Schwarzen Moor in der Rhön
Es regnet in Strömen. Tief hängen die Wolken über den Feldern des oberfränkischen Dorfs bei Bamberg, wo mich das Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks abholt, für einen Gang durchs Moor. Zwei Stunden Fahrt stehen uns bevor, in die Rhön, den nördlichsten Zipfel des Bundeslands, der für einen Bayer schon fast Norddeutschland ist. Als gebürtiger Franke hätte ich für meine Romanrecherchen gar nicht so weit reisen müssen, warum die Niederlande, warum Belgien und das niedersächsische platte Land, wenn das Moor so nah ist, in dem Mittelgebirge, das sich aus den Ausläufern des Spessarts erhebt, meines Heimatwalds, wo es Karpfenteiche gibt, auch sumpfige Wiesen entlang mäandernder Bäche, die Mainauen mit ihrem dumpfen Feuchtgeruch und den von Wasserlinsen bedeckten, fauligen Tümpeln; für einen Franken ist Moor, wenn unter den Füßen der Boden schlammig quatscht.
Also könnten wir auch hier bleiben und den Beitrag über meinen Roman am Rand der Dorfstraße drehen, wo durch den anhaltenden Regen der Bach über die Ufer getreten ist und die Wiesen überschwemmt hat. Wasservögel treiben auf dem von Inseln durchhöckerten See, ein Storch, der den Aufruf zur Winterreise verpasst haben muss, steht reglos auf einem Bein im Matsch. Nicht unbedingt ein mooriges, eher ein meeriges Bild, das an Marschen und Salzwiesen erinnert, und auch die Ausrüstung des Fernsehteams erweckt den Eindruck, als wollten wir raus ins Watt: kniehohe Gummistiefel, Regenhäute. Ich grinse in mich hinein, trage selbst sommerleichte Turnschuhe und eine Baumwollhose, denn eines haben mich meine Romanreisen in den Norden gelehrt: Schmutzig wird man auf einer sumpfigen fränkischen Wiese, nicht aber im Moor.
Ein Hauptmerkmal des Moores ist seine Abwesenheit. Betritt man es voller Erwartungen, ist es zunächst das Fehlen all der blubbernden und gluckernden Eigenschaften, die man mit ihm assoziiert. Moore sind Graslandschaften, die durch ihr borstiges, hartblättriges Gesträuch, mit den vielen abgestorbenen, zersplitterten Birken und Kiefern trocken erscheinen, steppenartig und zu jeder Jahreszeit eher braun als grün, karg statt nebelfeucht-üppig, nicht wollüstig verschlingend und ausgreifend, eher spröde und in sich selbst verschlossen, wie verdorrt. Dabei besteht ein „echtes“ Hochmoor zum größten Teil aus Wasser, es ist das allgegenwärtige, das grundlegende und moorbildende Element. Aber man sieht es nicht, vor lauter Gras, in all der Ödnis.
Die freundliche Dame an der Infostelle am Eingang des Schwarzen Moores, wo man Wanderführer und Postkarten kaufen kann, deren unheimliche Stimmungen eindeutig ein Werk von Photoshop sind, zeigt uns auf der Karte das einzige Wasserloch, Moorauge genannt, das der zugängliche Teil dieses Naturparks zu bieten hat, abgebildet auf jeder zweiten der Ansichtskarten, eine recht unspektakulär wirkender Tümpel: Grasbüschel ragen aus dem Wasser, das nur tief und gefährlich erscheint, weil es so dunkel ist, eingeschwärzt von all den Moorgeschichten und –legenden, die man im Kopf hat. Ein Freund, aufgewachsen im Emdener flachen Land, den ich für meinen Roman ausgiebig nach seiner Moorkindheit befragte, dachte früher beim Anblick des schwarzbraunen Wassers nicht an Morast und Gefahr, sondern an Coca Cola, für ein Kind eine der süßesten Verlockungen, bis ihn ein Schluck aus dem Graben eines Besseren belehrte. Moorwasser schmeckt rostig, wegen des hohen Eisengehalts, der auch seine Färbung zu verantworten hat: gelblich in der geschüsselten Hand, ins Rot spielend, wenn die Strahlen der Sonne einen Tümpel durchdringen, und pechschwarz bei bedecktem Himmel und in der Dämmerung. Vielleicht erschrickt man auch nur derart bei seinem Anblick, weil es so deutlich wie kaum ein anderes Wasser das eigene Spiegelbild zurückwirft.