Mit dem WM-Extrablatt begleiten wir die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien vom 12. Juni – 13. Juli 2014. Unser Team: Imran Ayata, Friedrich von Borries, Paul Brodowsky, Petra Hardt, Heinz Helle, Verena Güntner, Thomas Klupp, Katja Kullmann, Matthias Nawrat, Christoph Nußbaumeder, Albert Ostermaier, Thomas Pletzinger, Doron Rabinovici, Lutz Seiler, Stephan Thome, Stefanie de Velasco.
Globalisierungskritik, Neoliberalismus, soziale Ungleichheit. Interessiert uns alle sehr. Ist uns allen wichtig. Aber nicht während der Fußballweltmeisterschaft! Denn die FIFA-Fußballweltmeisterschaft ist – wie Fußball überhaupt – eine Art Keimzelle der Globalisierung. Ein paar Beispiele gefällig?
Räumliche Entflechtung von Ursache und Wirkung
Das schönste Beispiel für die globalisierungstypische räumliche Entflechtung von Ursache und Wirkung ist in der Welt des Fußballs der FC Everton. Seit der Saison 2004/2005 ist Chang Sponsor des englischen Fußballvereins. Chang? Ja, der thailändische Bierhersteller. Noch nie getrunken? Kein Wunder, gibt es ja auch eigentlich nur in Thailand. Und warum die Sponsor von Everton sind? Weil so viele Thailänder Premier League kucken. Vor Chang war übrigens Kejian Sponsor. Kej-wer? Ja, ein chinesischer Mobilfunkanbieter …
Bei der FIFA-Fußballweltmeisterschaft ist es genauso. Oder vielleicht sogar noch schlimmer. Während die Steuerzahler in Brasilien die Kosten der Infrastrukturinvestitionen zahlen (ja, ein Stadion, das nach zwei, drei Spielen keiner braucht), zieht die FIFA als von Genf, Schweiz, aus operierende Institution die Gewinne ab.
Migration und Identität
Globalisierung hybridisiert Identität. Und zwar in mehrere Richtungen. Schon 2006 (Odonkor!) ist Deutschland in der Realität der Migrationsgesellschaft angekommen, 2010 hatten wir schon uns Özil, zwar mit traurigen Augen, aber dafür mit Merkel. Endlich nicht mehr Blut-und-Boden (Oliver Neuville hatte zwar einen deutschen Vater, brauchte aber anfangs einen Dolmetscher), sondern lokale Identität. Überall, immer neu konfiguriert, hybridisiert, ökonomisiert. Benzema fühlt sich als Algerier, aber als Fußball-Franzose. Und spielt deshalb für Frankreich. Diego Costa ist zwar Brasilianer, aber fühlt sich als Fußball-Spanier. Über die Hälfte der algerischen Nationalmannschaft ist in Frankreich geboren und aufgewachsen, fühlt sich aber als … Die Liste kann man beliebig verlängern. Kevin »Prince« aus Berlin, Joel aus Bochum, Jermaine aus Frankfurt, Fabian aus München … Und Jürgen Klinsmann ist eh Kosmopolit.
Global Divide und Knowledge Gap
So ist eben Globalisierung. Kapital und Kompetenz ziehen dorthin, wo sie gebraucht und benötigt werden. Jeder nutzt das Knowledge Gap so gut er kann. Das gilt für die Spieler, die in einem »fußballerischen Entwicklungsland« mehr Chancen für sich sehen, genauso wie für die Trainer. Wissenstransfer. Deutsche Trainer in die Dritte Welt, das hat schon lange Tradition. Rudi Gutendorf trainierte Australien, Bolivien, Trinidad und Tobago, Volksrepublik China, Fidschi, Tonga, Tansania, Nepal und Ruanda. Wikipedia-Rekord! Ja, und bei dieser WM bringt nicht nur Jürgen Klinsmann deutsche Fußball-Expertise, Vorsprung durch Technik in unterentwickelte Regionen dieser Welt. Volker Finke, berüchtigt als der berühmteste Trainer des SC Freiburg, machte die Spieler von Kamerun heiß. Hat nicht so geklappt wie geplant. Vorrunde war Schluss … Aber andere sind ja auch nicht besser. Winnie Schäfer, einstmaliger Perückenträger vom Karlsruher SC (ja, auch Baden), schied 2002 mit Kamerun ebenfalls in der Vorrunde aus. Aber immerhin wurde er Afrikameister. Schäfer ist natürlich immer noch Nationaltrainer. Nicht mehr in Kamerun. Sondern in Thailand. Ach nee, da hat er letztes Jahr aufgehört. Jetzt trainiert er Jamaika. Auch ein schönes Land, in dem es einiges zu entwickeln gibt.
Ja, so schön ist Fußball.
Ja, so schön ist die Globalisierung.