Kennt wer den Stein am Grund
des Kalmbachs? Ich komm da
her, ich war da klein, ich werde
nie mehr dort sein und vom Spielen wund.
Da schrieb ich Verse, ich dachte nicht
groß, die Wörter erschienen
unter meinem Bleistift, ich
begrüßte sie wie den Morgen, den
Kieselstein in meiner Sandale
und mein verwackeltes Gesicht
im funkelnden See.
Ihr könnt das nicht wissen: In
meiner Kindheit war ein
Funkeln von tausend Sternen
einfach auf dem Wasser. Mitten
am Tag und den vollen
Nachmittag lang und bis in meinen
Schlaf hinein, so ein Funkeln, wie
von meinen Augen
extra erfunden.
Auf alles fiel ich rein: das
wispernde Wasser, die kitzligen
Kiesel, die ritzende Bleistiftspitze,
das zwei zu null zur Halbzeit,
das Klatschen der Hände am
Spielfeldrand und die schicken
Geschenke unterm Christbaum, die
raffiniert verschnürten Pakete,
die Karten voller Handschrift, die
gestochen scharfen Wünsche – als
gälte das alles
tatsächlich mir.
Wir verloren vier zu
zwei, und die Kiesel waren
Überbleibsel vom Streugut im
Winter und die Zuschauer
beklatschten den Ball oder
sich selber, und der bunte
Weihnachtsberg ein Haufen
Abfall unbenutzter Liebe.
Schon verstanden. Ließ mich
aber von Neuem immer wieder
lieber täuschen als bloß da zu
sein wie ein Ufer, ein Bürgersteig
und ein Acker mit Linien.
Jetzt, vom Alter aus, schau
ich auf die Gegend, wo ich
lief, hin und her, gezähmt,
ernährt und angeschaut, wie
in einem Zoogehege, mit den
frischen Stimmchen der Vögel
ringsum, inmitten nach Früchten
gierender Obstbäume. Mit unreifen
Augäpfeln bestaunte ich den
Triumph des Frühjahrs über das
ewige Eis an den Polen
meines Kinderzimmers.
Darüber spricht man nicht, das
wisst ihr doch, nur eines noch: Ich
sah ihn da sitzen, den zausligen
Alten, den Ian besang, auf einer
Bank, mit schmierigem Bart und
Klamotten lausigster Art, er
fütterte abwesende Schwäne,
er kaute die Zeit mit den
Stumpen seiner Zähne, Aqualung
lautet sein Name, das glaubt
kein Mensch, ich aber schon,
ich glaubte allen und allem, meine
Haare wurden grau mit vierzehn,
ich erschrak so sehr und starb
zum ersten Mal, und der Onyx, den
ich hütete seit meinem siebten
Jahr, wie mein Wissen vom
Vergehn, glitt mir aus den
Fingern und versank, und
ich? Ich rannte weg und
schämte mich unendlich
mehr als unser See vorm
Ionischen Meer.
Kennt ihr den Stein am Grund
des Kalmbachs? Ich komm da
her, ich war da klein, ich werde
nie mehr dort sein und vom Spielen wund.