täglich ein stück weiter ist eine kolumne mit theaterverlegerischen reisenotizen von frank kroll. es geht um momentaufnahmen aus dem theateralltag, um wegesrandbemerkungen über glanzlichter und merkwürdigkeiten eines ganz eigenen literaturmarktgeschehens.
perlen des deutschen theaterwesens, folge 1: der premierenfeier-dj. wir alle kennen ihn. meistens harrt er in einer nische des garderobenfoyers oder der theaterkantine seines einsatzes, einsam und vergeistigt wie der paukist der berliner symphoniker. der premierenfeier-dj ist für tanzbare musik nach einer theaterpremiere zuständig. das ist ein posten mit verantwortung. entsprechend anspruchsvoll ist die ausbildung.
acht jahre dauert das aufbaustudium zum veranstaltungssprengberechtigten (master of martial arts) bei der bundeswehr. voraussetzung ist ein überdurchschnittlich erfolgreich abgeschlossener bachelor der angewandten theaterwissenschaften. die 120-seitige abschlussarbeit wird seit 1978 bundesweit einheitlich über I WILL SURVIVE von gloria gaynor verfasst. mit autorinnen und autoren ist der premierenfeier-dj durch seine genialische grundhaltung und ein erfolgsabhängiges entlohnungsmodell verbunden. ein versierter premierenfeier-dj kann seine abendpauschale durch geschickte playlistgestaltung ohne weiteres in einen dreistelligen stundenlohn ummünzen. üblicherweise gewährt der premierenfeier-dj den premierengästen eine frist von fünf minuten, bevor er den mastervolumeregler ruckelfrei in den roten bereich hebelt. so hat er es gelernt. dann heißt es, der ohrmuschel des gesprächspartner möglichst nahe zu rücken, will man noch etwas loswerden. nach einer weile schimmern dann die geröteten Lauschknorpel cartilagines meatus acustici aller unterhaltungswilligen vom sprechspeichelnebel der hineinrufenden. ist die lokalität nach einer halben stunde endlich leergespielt, beginnt für den premierenfeier-dj der wohlverdiente feierabend. manchmal legt er dann für die beiden tanzwilligen regie- und dramaturgiehospitantinnen noch ein paar knaller nach (stets auch: I WILL SURVIVE von gloria gaynor). kürzlich wollte ich mit meinem handy ein foto schießen von einem premierenfeier-dj in seinem leergerockten, stroboskopdurchblitzten theaterfoyer. es gelang mir nicht. ich hatte nach der premiere schon zwei stunden mit etwa 70 anderen premierengästen vor dem theater im schneeregen gestanden, wo wir uns u.a. über mehr oder weniger sinnvolle zugriffe auf goldonis komödien unterhalten hatten, und nun nahm die touchscreen meines handys meine gefrorene zeigefingerkuppe nicht mehr wahr. so muss dieser beitrag leider fotolos bleiben – nicht aber musiklos (nächste folge: glanz und elend der kantinenboulette):
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