täglich ein stück weiter ist eine kolumne mit theaterverlegerischen reisenotizen von frank kroll. es geht um momentaufnahmen aus dem theateralltag, um wegesrandbemerkungen über glanzlichter und merkwürdigkeiten eines ganz eigenen literaturmarktgeschehens.
allerorten romane auf der bühne! seit mitte der 90er finden sich in den spielplänen großer wie kleiner häuser immer häufiger auch titel wie DER SPIELER, HOMO FABER, KRIEG UND FRIEDEN, BERLIN ALEXANDERPLATZ oder DER STEPPENWOLF. „theatralisierung“ ist das stichwort in diesem zusammenhang, das den überkommenen begriff der „dramatisierung“ abgelöst hat. immer öfter sind es regieleute selbst, die ohne hinzuziehung eines dramatisierenden theaterautors eine eigene spielfassung eines romans erarbeiten. die ursachen für diesen anhaltenden trend sind vielfältig und inhaltlicher wie ökonomischer art. kanonisierte prosawerke der weltliteratur bieten neben ihren erwiesenen literarischen qualitäten auch spielplantechnische vorzüge: es handelt sich um bekannte werke, mit zugkräftigen titeln und autorennamen. das publikum wird bei eigenen leseerfahrungen „abgeholt“. theatralisierungen können wie uraufführungen vermarktet werden. regieleute finden in den vorlagen reiches material für eigene szenische übersetzungen, ohne sich an die vorgaben eines konventionellen dramentextes (regieanweisungen, dialogische struktur, vorgegebene besetzung etc.) halten zu müssen. bearbeitungen bekannter romane sind verlockende angebote für die stets mit einem großen auslastungsrisiko belasteten spielplanpositionen auf den großen bühnen mit 200 bis über 1000 plätzen. hier wird theaterseits seit jahren das fehlen entsprechender angebote in der originären szenischen literatur beklagt (dem ist natürlich vehement zu widersprechen, nicht nur von meiner – befangenen – seite!). die spielweisen im umgang mit epischen formen sind seit längerem erprobt: an prosa wie an neuerer szenischer literatur (die oft formal von originärer prosa kaum zu unterscheiden ist). nun bedeutet jede theatralisierung eine umsetzung eines stoffes in ein anderes genre, einen sprung in eine andere kunstwirklichkeit. dabei sind immer VERLUSTE zu verzeichnen, allein schon im bezug auf die persönlichen leseerfahrungen mit einem bestimmten roman. im besten fall stehen diesen verlusten unerwartete szenisch-sinnliche GEWINNE gegenüber. wie zum beispiel am zürcher schauspielhaus, wo aus frischs komplexem romanwerk MEIN NAME SEI GANTENBEIN gerade per rigorosem regiekaiserschnitt eine wirkungsvolle beziehungstragikomödie zur welt gebracht wurde.