täglich ein stück weiter ist eine kolumne mit theaterverlegerischen reisenotizen von frank kroll. es geht um momentaufnahmen aus dem theateralltag, um wegesrandbemerkungen über glanzlichter und merkwürdigkeiten eines ganz eigenen literaturmarktgeschehens.
transit europa
flucht, vertreibung, entwurzelung – als themen neuer szenischer Literatur
täglich berichten die randspalten der zeitungen von hunderten von flüchtlingen, die ihr leben riskieren, um europa zu erreichen. tausende kommen dabei jedes jahr zu tode. die überlebenden werden notdürftig versorgt, erkennungsdienstlich behandelt, in bürokratische abläufe gezwungen und müssen ohne konkrete lebensperspektive um ihren weiteren aufenthalt bangen.
freizügigkeit gilt als universelles menschenrecht. weltweit befinden sich laut UNO-angaben derzeit mehr als 51 millionen menschen auf der flucht. europa betreibt MIGRATIONSMANAGEMENT mittels einer agentur (FRONTEX), die den militärischen schutz der außengrenzen koordiniert. die populistischen parteien in europa propagieren derweil abschottung und erreichen damit immer breitere gesellschaftsschichten.
europa ist in bewegung. längst leben in den reichen mitteleuropäischen ländern millionen menschen aus allen weltregionen und sorgen u.a. dafür, dass demographische probleme ausgeglichen werden und ganze wirtschaftsbereiche weiter funktionieren. und eine europäische kultur, die nie homogen und starr gewesen ist, entwickelt sich weiter und wird belebt.
die vielfältigen individuellen und gesellschaftlichen konflikte, die mit der veränderung europas einhergehen, finden publizistische Verarbeitung (ganz aktuell z.b. in ÜBER DAS MEER), aber auch literarische. gerade in der szenischen literatur war und ist das thema sehr präsent. von volker braun (TRANSIT EUROPA) bis hin zu autorinnen und autoren der jüngeren generation wie darja stocker (ZORNIG GEBOREN), kevin rittberger (KASSANDRA ODER DIE WELT ALS ENDE DER VORSTELLUNG) oder philipp löhle (WIR SIND KEINE BARBAREN!). grund für uns, diesem thema in unserem neuen theatermagazin einen schwerpunkt zu widmen.
dass die beschäftigung mit diesem thema nicht zwangsläufig zu momenten ohnmächtiger betroffenheit führen muss, zeigt unsere lektüreempfehlung: in einem vielgespielten monolog schließt die theaterautorin ingrid lausund zwei sehr unterschiedliche fluchtversuche kurz: da übt eine mitteleuropäische frau das abtauchen in ihrem wellness-bad und wird dabei vom sehr realistischen alptraum des ertrinkens im mittelmeer heimgesucht.