täglich ein stück weiter ist eine kolumne mit theaterverlegerischen reisenotizen von frank kroll. es geht um momentaufnahmen aus dem theateralltag, um wegesrandbemerkungen über glanzlichter und merkwürdigkeiten eines ganz eigenen literaturmarktgeschehens.
tag zwei der frankfurter buchmesse 2013 – und noch immer kein blogwürdiges erlebnis. vielleicht muss das so sein, dass man sich im epizentrum literarisch verdichteter lebenserfahrung eigener lebenspraxis weitgehend enthält und sich so erst in einen weltabgewandten konzentrationsmodus versetzt, in dem sich im irrsinnsgetümmel der messe am laufenden band einigermaßen konzentrierte termine überhaupt bestreiten lassen. (die eigentliche akkordarbeit leisten dabei die kolleginnen und kollegen aus der rechte- und verkaufsabteilung, in meinem falle sind das eher ruhige gespräche mit filmstoffinteressenten, dramaturgen und agenten.)
abends auf dem laufband im fachbesucherschwarm richtung ausgang wieder dieses starke bedürfnis nach einer NENNENSWERTEN EIGENEN ERFAHRUNG! der rikschafahrer, der mich dann am ewigen frankfurter stau vorbei durch den ewigen frankfurter regen richtung CITY(?) radelt, beantwortet meine fragen nach seinen möglicherweise ja verwertbaren persönlichen tageserlebnissen kurzatmig, einsilbig und in einem mir nicht geläufigen dialekt. an tag drei also zwischen zwei terminen endlich mein entschluss, ein berichtenswertes erlebnis vorsätzlich herbeizuführen. die idee: ich klaue ein buch. und zwar am suhrkampstand. dem eigenen. ich will wissen und für die digitale nachwelt festhalten, wie sich das anfühlt, was an buchmessetagen UND AUCH DAS MUSS HIER EINMAL GESAGT WERDEN! massenhaft passiert. bei meinem vorhaben kann ich begünstigend darauf setzen, dass mich noch nicht alle kollegen meines verlages persönlich kennen. (das merke ich mitunter an – stets freundlichen! – nachfragen wie: WAS GENAU MACHEN SIE HIER EIGENTLICH? offenbar geht man im haus davon aus, dass irgendjemand friedlich schlummernd auf den nächsten brechtabschluss wartet, der ja nie lange auf sich warten lässt. DEM IST NATÜRLICH NICHT SO! DEM SCHLUMMERN!) zum zwecke möglichst authentischer erlebnissimulation klemme ich also mein suhrkampblaues namensschildchen ab und durchsuche die regale nach literarischer beute. ich entscheide mich für ERFINDET EUCH NEU! von michel serres (eine wunderbare, hellsichtige liebeserklärung des 83jährigen philosophischen querdenkers an die digitale däumlingjugend von heute, aber das nur nebenbei). zur tarnung blättere ich zunächst ein wenig darin herum, dann versuche ich, das dünne bändchen beiläufig in meine linke jackentasche zu befördern. was mir nicht gelingt, denn es handelt sich um ein nicht jackentaschenkompatibles SONDERFORMAT DER EDITION SUHRKAMP. ich lerne, dass man als buchdieb nicht nur inhaltlichen kriterien folgen sollte. ich versuche es weiter, indem ich den 70 seiten nun eine leichte wölbung verpasse. eine kollegin vom infostand nebenan beobachtet mich unterdessen genauer, merke ich. ich schaue möglichst unschuldig zurück. dann weist sie mit dem zeigefinger richtung mittelgang. kennt sie mich doch? ich folge ihrem fingerzeig bis ich frontal in eine fernsehkamera blicke, an der oben ein kleines rotes lämpchen leuchtet. ich versuche, professionell zu lächeln. der kameramann lächelt schräg verkniffen zurück, sein linkes auge am bzw. im gummierten okular (heißt das so?). nach einer meinerseits konsequent durchgelächelten ewigkeit hält er seinen freien rechten daumen in die höhe. das rote lämpchen erlischt. ich sage irgendetwas wie: die leistungsschutzrechte gehörten aber mir. darauf er: das solle ich mit der vg wort klären, für die er seine doku mache. mit diesem kalauer, unter uns rechteverwertern ein regelrechter BRÜLLER, klappt er sein stativ auch schon wieder zusammen und zieht richtung schöffling weiter. ich stelle das kaum angeknickte büchlein UNBEDINGT KAUFEN! wieder ins regal zurück WIE ICH DAS NATÜRLICH VON ANFANG AN VORGEHABT HABE! und begrüße die gerade eintreffende agentin, meine pünktlich erscheinende nächste gesprächspartnerin, derart herzlich, dass sie – quasi stellvertretend – errötet.