Wer nicht Literatur übersetzt, kann sich das vielleicht auf Anhieb nicht vorstellen: Es gibt Momente beim Übersetzen, an denen man laut aufschreit, kichert, durchgeschüttelt wird von Entsetzen oder Lachen. Wir schicken den Text körperlich durch uns hindurch, weil wir ja die Stimme (oder die Stimmen) des Buches werden müssen. Es ist nicht bei jedem Satz oder jedem Buch SO physisch, aber der Prozess, zu Raymond Queneau zu werden, begann mit einem lebhaften Dialog (Nachbarn könnten meinen, ich führte ständig laute Selbstgespräche), während ich den Text in seinen Bedeutungsschichten zu verstehen suchte. Wer ist bitte der General Vermot, und hat der Memoiren geschrieben? Ach so, nee, ein jährlicher Almanach mit Witzsprüchen, und Zazie bringt das durcheinander. Oder bei der Begrüßung – da steht »La gosse se marre.« (Die Göre lacht sich weg) Okay, aber wieso lacht sie denn? Er hat doch gerade bloß bestätigt, dass er ihr Onkel ist … (»Oui, je suis ton tonton.«) Und dann werde ich laut: Du abgefeimter Hund! Und muss mich auch erst mal weglachen. Tontonton … das zieht sich dann durch den ganzen Absatz. Na Mahlzeit. An so was kann man länger basteln. Aber es macht tierisch Spaß.
Weil Queneau dabei seinen Spaß gehabt haben muss. Ich sehe ihn vor mir, wie er einen Satz hinschreibt, den er erzählen will. Und dann fällt ihm ein, dass der, wenn man ihn hören würde, ziemlich lustig klingt, weil er auf irgendwas anderes anspielt, das man mit genug Mutwillen mitklingen hört, oder weil der Sprecher einen Akzent hat, oder weil man ihn so lässig dahinnuschelt, dass aus dem Satz ein Wort wird. »Der Typ hielt den Mund«, will er sagen. »Le type se tût.« Diese affigen Circonflexe beim hochliterarischen passé simple, denkt er, darüber kann man sich nur lustig machen. Und hören tut man eigentlich nur zwei Silben: »ltipstu«, fertig. Dann schreiben wir’s doch einfach hin. Und das arme Übersetzerlein starrt dieses Wortgebilde an und fragt sich: WTF? Bis dann der Groschen fällt. (Laut lesen, laut lesen, laut lesen.) Irgendwas in der Art muss dann im Deutschen natürlich auch passieren. (-> Dertypieltru. Laut lesen!)
Beispiele gibt es in diesem Roman zu Hunderten, Queneau fährt sprachlich mit uns Achterbahn und zündet ein Feuerwerk nach dem anderen. Er will einfach mit dem braven Erzählen aufhören, das sich selber so ernst nimmt, das auf eine ausgewogene Balance zwischen den eingesetzten sprachlichen Mitteln und dem erzählten Stoff achtet. »Erzählökonomie«! Pah. Wer sagtn das? Ich, Raymond Queneau, mache es anders. (Klar, da nimmt er sich selber natürlich auch sehr ernst. Aber mit herausgestreckter Zunge.) Und so wechselt er zwischen derber Direktheit und ironischer Umständlichkeit, zwischen den Erzählzeiten der Gegenwart und der Vergangenheit, zwischen Gelehrsamkeit der einen und schlichtem Gemüt der anderen Sprecher, ganz nach Belieben.
Dass die Handlung eine steile Räuberpistole ist, die man glauben oder es lassen kann, das vergisst man, wenn man sich mitreißen lässt, ziemlich bald. Damit sollen sich die interpretierenden Literaturwissenschaftler herumkriegen. Warum tanzt ausgerechnet Gabriel im Tütü? Hat Zazies Mutter wirklich ihren Mann mit der Axt erschlagen? Warum taucht Gabriels Frau Marceline am Schluss allem Anschein nach als Mann auf? Die Antwort ist doch ganz einfach: weil es Spaß macht. Weil der allwissende Autor auch allmächtig ist. Und sich alle Freiheiten nimmt, auf die er Lust hat.
Das gibt mir als Übersetzer natürlich keineswegs alle Freiheiten; ich muss ja nachbilden, worauf Monsieur Lust gehabt hat. Gut, im Geist Queneaus befreie ich mich noch stärker von der Buchstäblichkeit des Originals, als ich das sowieso beim Literaturübersetzen tue und tun muss. Aber das erlaubt mir nicht, einfach irgendwas hinzuschreiben, nur weil ich es vielleicht witzig finde, es muss schon einen dazu passenden »Auftrag« im Original geben. Und deshalb gibt es nach abgeschlossener Arbeit auch eine Reihe herausgeschnittener Ministellen, Ideen, die ich mir dann doch verkniffen habe. Kill your darlings. Eine Kostprobe: Im Cabaret tritt die Bedienung in gendertechnisch unklar zuzuordnender Kleidung an. Der Kellner – mit dem ungewöhnlichen, abfälligen Wort »le loufiat« als männlich gekennzeichnet – trägt offenbar Schottenrock, was natürlich dem Genderspielchen zuträglich ist. Er tritt als »Écossaise« auf, als »Schottin«, aber mit männlichem Artikel (»un Écossaise«). Er ist, wörtlich übersetzt, »ein Schottin«. Gefällt mir nicht. Ich lasse meinen »Bedienerich« lieber im »Schottinnenrock« auftreten. Im weiteren Verlauf verhält er sich mal divenhaft abweisend, mal anzüglich-plump flirtend; mir geht so was durch den Kopf wie »Schotten dicht, Schottinnen nicht«. Aber das schafft es nicht bis in die Endfassung; auch wenn sich Queneau, hätte er auf Deutsch geschrieben, derlei vielleicht nicht hätte entgehen lassen. Das Vergnügen, bei der Arbeit einen derartigen Überschuss an albernen Ideen zu produzieren, überwiegt den Ernst des Sich-Am-Riemen-Reißens aber bei weitem. Merci, Raymond!
Frank Heibert hat von Raymond Quenau zuletzt Zazie in der Metro und zuvor, gemeinsam mit Hinrich Schmidt-Henkel, die berühmten Stilübungen neu aus dem Französischen übersetzt.