Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher?
Bei uns im Haushalt gibt es eine gemeinsame Bibliothek (zusammen mit meinem Mann und Lieblingskollegen Hinrich Schmidt-Henkel), in der die Bücher alphabetisch geordnet sind, getrennt nach Belletristik und Sachbuch (in letzterer Gegend stehen dann auch Bildbände und Reiseführer); außerdem gibt es unsere jeweiligen Archive, also unsere Übersetzungen und andere Bücher, an denen wir mitgearbeitet haben, die sind, zusammen mit den Nachschlagewerken, im jeweiligen Arbeitszimmer.
Welches Buch lesen Sie gerade?
Ich habe schon vor Jahren einen spannenden Autor aus Québec entdeckt, dessen Werk ich mir gerade weiter erschließe, Jean-Simon DesRochers. Er schreibt fast immer Diptycha, z. B. ein Sommer- und ein Winterbuch mit teilweise wiederkehrendem Personal, und er liebt das Shortcuts-Prinzip, ein Mosaik aus den einzelnen Figuren zugeordneten Situationskapiteln, direkt rein ins saftige Leben, und alles zusammen ergibt ein Gesellschaftspanorama der Stadt Montréal. Faszinierend, abwechslungsreich und voll unglaublicher Menschenkenntnis.
Wie weit reicht Ihre Sammlung zurück?
Das Buch, das ich am längsten besitze, habe ich als 11-Jähriger geschenkt bekommen, eine alte Ausgabe von Hauffs Märchen, die mich in ihrer Düsterkeit und Gnadenlosigkeit als Kind sehr beeindruckt haben. Schon die Grimms sind teilweise heftig, der weniger bekannte Hauff kann ihnen mehr als nur das Wasser reichen.
Welche Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen?
Die Bücher, die mich in irgendeiner Weise aufgewühlt und »aktiviert« haben, sei es emotional, sei es ästhetisch. Manchmal hatte ich das Glück, sie übersetzen zu dürfen. Nicht wenige darunter hätte ich gern übersetzt oder gleich selber geschrieben, eben weil sie mir so nahe gekommen sind.
Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Da muss ich drei nennen. Erstens Alexis ou Le Traité du Vain Combat von Marguérite Yourcenar, ein kurzer Briefroman über eine quälende Trennung und eine Lebenslüge, im Romanistikstudium auf der Leseliste eines Seminars, auf Deutsch vergriffen – da hab ich mich, mit 21, selber hingesetzt und ihn übersetzt, einfach so, aus Begeisterung und als Geschenk für meinen damaligen Liebsten. Ist nie erschienen, hat mir aber meine erste veröffentlichte Übersetzung eingebracht (Boris Vian). Zweitens, 15 Jahre später, Unterwelt von Don DeLillo, das ich übersetzen durfte, ein dreizehn Monate währendes Eintauchen in ein Stück Weltliteratur; danach war ich ein anderer Leser, ein anderer Übersetzer und ein anderer Betrachter der Welt. Und drittens, biografisch das erste dieser drei Bücher, Giovanni’s Room von James Baldwin; für den jungen schwulen Literaturstudenten in Berlin Teil der Lebensleseliste. Das Buch war ein Schock, so traurig und niederschmetternd, dass ich dachte, das kann und will ich nie wieder lesen. Und, wichtiger: In diesen Verrat an sich selbst, diesen in Reaktion auf die Verachtung der Gesellschaft leider ja lange sehr verbreiteten schwulen Selbsthass darf und will ich nicht verfallen. Seit den fabelhaften Neuübersetzungen von Miriam Mandelkow habe auch ich Baldwin neu gelesen, vor kurzem auch, im Original, Giovanni’s Room, und nun, 40 Jahre später, natürlich mit einem anderen Blick. Hochspannend, immer noch tieftraurig, aber (ein bisschen was ist ja in diesen 40 Jahren meines Lebens zum Glück passiert) nicht mehr so traumatisch. Große Literatur mit vielen, schwer zu ergründenden Facetten.
Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?
Neben meinen eigenen Übersetzungen tatsächlich auch einen der Mandelkow-Baldwins, Beale Street Blues, an meinen 19-jährigen Patensohn, der für diese Kombination aus Liebe und Politik und diese mal kraftvolle, mal unendlich zärtliche Sprache ganz sicher empfänglich sein wird.
Wer soll Ihre Bücher einmal bekommen?
Nachdem sich mein Neffe und mein Patensohn (und sicher noch einige Leute mehr) was ausgesucht haben, wäre es mir eine Ehre, wenn sich das Europäische Übersetzerkollegium in Straelen darüber beugen würde.
Wie sieht/sähe Ihre ideale Bibliothek aus?
Auf diese Frage reagiere ich spontan nicht inhaltlich, sondern vom Räumlichen her. Ich sehe Architektur vor mir, geschwungene Regale, Rücken an Rücken, in der Mitte eines langgezogenen schmalen Raumes mit bodentiefen Fenstern zu beiden Seiten, gutes Licht, viel Platz für Ordnung und Unordnung und mehrere Lesemöglichkeiten, vom Arbeitstisch bis zu einigen ultrabequemen Lesesesseln. Hinter den Fenstern Landschaft.