Ales ist ein belarussischer Verleger, der an die Macht des Buches glaubt. Sein Ziel ist es, so viele Bücher wie möglich auf Belarussisch und über Belarus herauszugeben. Nach und nach werde so ein Bewusstsein dafür entstehen, dass es dieses Land wirklich gibt, sagt er. Weil er die meisten seiner Bücher jedoch nicht legal vertreiben kann, fährt er von Stadt zu Stadt und verkauft sie aus dem Kofferraum, oder bei Konzerten von in Minsk verbotenen Musikern im benachbarten Litauen. Deshalb hat er auch im Keller unserer Wilnaer Bleibe sechs große Umzugskisten voller Bücher stationiert. Bei jedem Konzert wird es eine Kiste weniger. Unter den Konzertbesuchern gehören gedruckte Bücher noch immer zu den Grundnahrungsmitteln.
Eines Tages, bei einer seiner Bücherfahrten, fragt Ales verschämt, ob er für einige Wochen 25 Zaunelemente bei uns abstellen kann. Da genügend Platz im Hof ist, willige ich ohne Weiteres ein. Wie immer ist die Absprache etwas ungenau. Erst hat Ales Probleme, mich zu erreichen, weil ich Skype nur unregelmäßig nutze. Dann weiß er nicht genau, wann er ankommt, weil er mit dem Auto über die Grenze fährt und dort eine genaue Kontrolle durchlaufen muss. Zwischendurch eine SMS: »Melde mich 30 Minuten vor Ankunft. Wie verfahren wir?« Ich schreibe zurück, dass ich bis 23 Uhr warten kann – ich moderiere am nächsten Morgen eine Konferenz.
Ales kommt um 23.30 Uhr, während ich gerade Konferenzgäste vom Bus abhole. Nach meiner Rückkehr tragen wir gemeinsam die großen, schweren Zaunelemente in den Hof. Der belarussische Präsident Lukaschenka braucht Geld in der Staatskasse und hat deshalb die unverzollte Einfuhr jeglicher Waren nach Belarus ab Mitte des Jahres verboten. Allerhöchste Eisenbahn, um den Gartenzaun im Dorf der Eltern von Ales zu komplettieren. Ich verstehe meinen bescheidenen, körperlichen Beitrag als Freundschaftsdienst, ärgere mich nur darüber, dass Ales schon, anders als geplant, mitten in der Nacht wieder zurückkehren will, sodass kaum Zeit für ein Gespräch bleibt. Er hat auch neue Fenster gekauft und diese müssen unbedingt noch heute nach Belarus. Wir reden nur kurz miteinander. Dann sagt Ales plötzlich: »Ich habe Dir 38 Exemplare des neuen Buches mitgebracht. Eins ist für Dich, es wäre super, wenn Du die anderen zur Post bringen kannst.« Er hat die frisch gedruckten Bücher in einem übergroßen Hartschalenkoffer untergebracht, der eher nach dem Reisegepäck einer modeaffinen Frau aussieht. Ich murre etwas, weil ich eigentlich nur angeboten hatte, einige Exemplare mit nach Berlin zu nehmen. Doch nachdem alles ausgeladen ist, ist Ales schon wieder weg.
Immerhin sehe ich ihn jetzt regelmäßig einmal im Monat – er darf dann drei Elemente zollfrei nach Belarus einführen. Jedes Mal bringt er eine Kiste belarussischer Bücher mit nach Litauen und nimmt drei in Polen hergestellte Zaunelemente aus Litauen wieder mit zurück nach Belarus.