Pat To Yans Kurze Chronik des künftigen China wird demnächst in Saarbrücken und Lübeck inszeniert. Ein Gespräch über die Rolle Chinas heute und in naher Zukunft, den Hongkonger Widerstand und ein Theaterstück, das tief in der interkulturellen Tradition Hongkongs wurzelt.
Eva Behrendt Die Kurze Chronik des zukünftigen China haben Sie bereits 2015 geschrieben, jetzt hat John Birke das Stück ins Deutsche übersetzt. Hat das Stück in den letzten Jahren für Sie an Aktualität oder Gültigkeit eingebüßt?
Pat To Yan Zunächst einmal glaube ich, dass die Dinge, die ich darin beschreibe, immer noch geschehen oder weiterhin geschehen werden. Es gibt zwei Handlungsstränge, der eine ist um das Jahr 2040 herum angesiedelt und handelt vom »Außenseiter«, der Zeuge des Zusammenbruchs der großen Regierungspartei, des gesamten Staatsapparates wird. Dies ist offensichtlich noch nicht der Fall, China ist immer noch sehr stark, zumindest von außen betrachtet. Auch wenn es vielleicht erste Anzeichen für ein Bröckeln der Macht gibt – die Gegenbewegung, nämlich diese Macht durch internationale Beziehungen, große Wirtschaftsprojekte etc. zu sichern und auszubauen, spricht dafür. Dann gibt es noch den anderen Strang mit dem »Mann, der Schmerz mitansieht« und dem »unheimlichen Mädchen«. Sie befinden sich ziemlich genau in der Situation, mit der wir es jetzt zu tun haben. Sie versuchen, der Autorität zu entkommen. Nein, leider hat sich meine Sicht auf das heutige China seither kaum verändert. Übrigens habe ich letzten Sommer, auf dem Höhepunkt der jüngsten Proteste in Hongkong, eine Art Fortsetzung des Stücks geschrieben: Posthuman Condition, das die politische Situation noch einmal aus einer ganz anderen Perspektive beschreibt.
EB Und die wäre?
Pat To Yan Es geht um einen zukünftigen Krieg und darum, wie künstliche Intelligenz unser Leben in Zukunft beeinflussen wird. Es ist der Versuch, die Situation Jahre später aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Aber es gibt eine Figur, die ich übernommen habe, die »weiße Knochenfrau«. In Posthuman Condition spielt sie eine viel größere Rolle.
EB Ein Motiv in der Kurzen Chronik ist sehr auffällig: die Rolle der Erinnerungen. Sie werden ausgelöscht und neu erfunden, ähnlich wie in Blade Runner. Der »Mann, der Schmerz mit ansieht« schreibt professionell Erinnerungen für Menschen; auch die weiße Knochenfrau ist Autorin für Roboter-Erinnerungen.
Pat To Yan Das Erfinden von Erinnerungen ist leider kein SciFi-Plot, sondern genau das, was die chinesische Regierung die ganze Zeit tut. Übrigens wird in Hongkong gerade eine heiße Debatte über Geschichtspolitik geführt. In der öffentlichen Aufnahmeprüfung für die Universitäten wurde bislang den Studierenden folgende Frage gestellt: »Inwieweit stimmen Sie zu, dass Japan in den Jahren 1900 bis 1945 China mehr Gutes als Schlechtes getan hat?« Tatsächlich hat Japan in den ersten 20 Jahren China sehr stark unterstützt, die Revolution mitfinanziert und Studenten ausgebildet. Erst nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich das, als Japan in China einmarschierte. Aber die Leute beantworten die Frage nicht differenziert, sie sind überzeugt, dass Japan China mehr Schaden als Nutzen zugefügt hat. Der Bildungsminister von Hongkong hat nun behauptet, dass diese Frage die Menschen verletze, so dass die Prüfungsbehörde unter politischem Druck beschlossen hat, sie zu streichen. Ein klarer Hinweis darauf, wie die Regierung Erinnerungspolitik macht.
EB Reisen Sie selbst manchmal aufs chinesische Festland?
Pat To Yan Ja, aber nicht mehr seit dem 1. Juli 2019. Die Stimmung wurde während der Proteste gegen das Auslieferungsgesetz (und Chinas Einfluss auf die Politik in Hongkong im Allgemeinen) immer angespannter, bis ich mich nicht mehr traute, nach China zu reisen. Was eigentlich sehr einfach ist, mit dem Schnellzug dauert es nur 20 Minuten nach Shenzhen. Es ist ziemlich interessant, dort herumzuspazieren, es gibt gute Buchläden und eine lebendige Alternativ-Kulturszene. Aber als Teil der Widerstandsbewegung fühle ich mich im Moment eher unwohl dabei. Ein Beamter der britischen Botschaft wurde im August 2019 in Shenzhen wegen Verdachts auf Spionage verhaftet. Nach drei Wochen wurde er wieder freigelassen. Aber wenn sie sogar Beamte festnehmen, ist es für jemanden, der Teil der Bewegung ist, sicher noch gefährlicher.
EB Sie sind in der Tat Aktivist des Widerstands in Hongkong und seit der Regenschirm-Revolution von 2014 dabei.
Pat To Yan Ja, in den ersten drei Monaten war ich in gewisser Weise an der Front, aber innerhalb der Bewegung gehöre ich der mittleren Generation an. Und das kann man auf Dauer nicht aufrechterhalten, zumindest nicht auf der Straße. Man muss körperlich wirklich fit sein, muss rennen können, muss bereit sein, sich in Gefahr zu begeben und zu fliehen. Wie krass dies zeitweise – auch für die in den hinteren Reihen – war, zeigte sich beim Angriff der Hongkonger Polizei auf die Polytechnische Universität. Nichtsdestotrotz habe ich mich an der Verteidigung der beiden großen Hongkonger Universitäten beteiligt.
EB Sie haben viel über diese Entwicklungen auf Facebook gepostet, Nachrichten, Hintergrundartikel, Videos von Polizeigewalt, eigene Kommentare. Das war wahrscheinlich ein Fulltime-Job.
Pat To Yan Ich gebe mein Bestes und möchte mit anderen teilen, womit wir es zu tun haben. Es ändert sich ständig, leider eher zum Schlechteren. Dafür gibt es zwei Anzeichen: Letzten Monat wurden die 14 Personen verhaftet, die immer auf friedlichem Protest bestanden. Sie sind wichtige Protagonisten der Demokratiebewegung in Hongkong, zwischen 60 und 80 Jahre alt, gehören also zur älteren Generation. Das ist die eine Sache. Die andere ist, dass die Regierung die Pandemie ausnutzt, um Proteste zu stoppen und Menschen zu verhaften. Es gilt die Regel, dass sich nicht mehr als acht Personen versammeln dürfen. Eine unserer Proteststrategien besteht darin, in Einkaufszentren Protestlieder zu singen. Das kann man auch zu zweit machen. Aber dann treibt die Polizei alle möglichen Kunden mit Tränengas zusammen und verhaftet alle. Außerdem sollen in Zukunft viele neue Gesetze verabschiedet werden, von Einschränkungen der Redefreiheit bis hin zur Nationalhymne. Und wegen der Pandemie wird zum ersten Mal seit 1990 das öffentliche Gedenken an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens gestrichen. Hongkong ist der einzige Ort innerhalb des chinesischen Systems, an dem dies bisher möglich war.
EB Wurden verhaftete Demonstranten auch nach China ausgeliefert? Das Gesetz, das dies ermöglichen sollte, war ja der Anlass für die Demonstrationen.
Pat To Yan Tatsächlich ist das Gesetz nie verabschiedet worden. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, dass einige sehr junge Demonstranten – Teenager noch – nach China ausgeliefert worden sind. Zum Beispiel sagt der Botschaftsbeamte, von dem ich vorhin erzählt habe, dass er einige von ihnen in Shenzhen in Haft gesehen hat. Aber solche Inhaftierungen vollziehen sich nicht offen, sondern heimlich.
EB Heißt das, die chinesische Regierung ist doch beeindruckt von der Heftigkeit des Hongkonger Widerstands?
Pat To Yan Naja … jedenfalls wollen sie deshalb mehr Gesetze zur Kontrolle der Freiheit einführen. Als Nächstes werden sie das Nationale Sicherheitsgesetz verabschieden, das das Prinzip »Ein Land, zwei Systeme« vollständig abschafft. Es bedeutet auch, dass ich mich schuldig machen könnte, wenn ich in den sozialen Medien etwas veröffentliche, das die Regierung kritisiert. Das ist wirklich schrecklich. Wenn es aber um internationale Beziehungen geht, will China zu den Guten gehören.
EB Das zeigte sich auch im Umgang mit der Corona-Pandemie. Nach seiner eigenen radikalen Abriegelung hat China Ärzte und medizinisches Material an viele Orte der Welt geschickt. Man hatte das Gefühl, dass die neue aufstrebende Weltmacht zeigen wollte, dass sie selbst mit einer solchen Katastrophe vorbildlich umgehen kann.
Pat To Yan Um fair zu sein: Die Abriegelung war tatsächlich recht effektiv. Aber sie erfolgte erst, nachdem die Behörden versuchten, den Ausbruch in Wuhan einen Monat lang zu vertuschen. Die chinesische Regierung ist also trotzdem für die weltweite Ausbreitung der Epidemie verantwortlich. Sie versucht auch, die WHO stärker zu beeinflussen und zu kontrollieren. So sehr, dass die WHO erst nach der deutschen Regierung von einer Pandemie sprach.
EB Auch Donald Trump wirft das China vor. Erschreckt es Sie nicht manchmal, der gleichen Meinung wie der amerikanische Präsident zu sein?
Pat To Yan Es gibt ein Graffiti auf der China Bank in Hongkong, mit der Aufschrift »Zwei Länder, ein System«, das ziemlich gut meine Gefühle zu beiden Staaten ausdrückt. Gemeint sind hier nicht China und Hongkong, sondern »Chinazi & Amerikkka«. Ich habe die US-Regierung lange Zeit gehasst, konnte nie vergessen, was sie Südamerika und anderen Ländern im Kalten Krieg angetan haben. Wofür sie sich nie entschuldigt haben. Trump ist zweifellos ein rechter Rassist und Diktator, und auch ein Idiot. Ironischerweise steht er fest gegen die chinesische Regierung. Auch wenn er das sicher zu seinem Vorteil tut, ist die US-Regierung die einzige, die gegen die chinesische Regierung vorgeht, und das macht der KPCh wirklich Angst.
Was haben die EU und die deutsche Regierung getan? Sie sagen immer wieder, dass sie zutiefst besorgt über die Lage in Hongkong und die der Uiguren sind, gleichzeitig machen sie Geschäfte und jede Menge Geld mit China. Sie behaupten, Sanktionen würden nicht funktionieren. Ich würde gerne wissen, was ihrer Meinung nach funktioniert. Haben sie einen Plan?
EB Viele kritische Chinesen waren durchaus empört über den Versuch der chinesischen Regierung, die Epidemie in den ersten Tagen unter den Teppich zu kehren. Gibt es eigentlich Verbindungen von der Demokratiebewegung in Hongkong nach China, wo es sicherlich ebenfalls ein großes Protestpotenzial gibt?
Pat To Yan Die chinesischen Medien bemühen sich in der Regel sehr darum, die Demokratiebewegung in Hongkong zu stigmatisieren. Dennoch gibt es viele, die die Propaganda durchschauen und versuchen, uns zu helfen, oder die sich unsere Parolen (»Fünf Forderungen, nicht eine weniger«) zu eigen machen. Aber wie viele Verbindungen es wirklich gibt, kann ich nicht sagen. In der chinesischen Geschichte, aber auch anderswo, springen die Proteste in einer Stadt auf viele andere über: Ich glaube, das ist es, was die chinesische Regierung am meisten fürchtet, den Schneeballeffekt. Und natürlich verfolgen wir auch sehr genau, wenn es in China öffentliche Demonstrationen gibt. Eine davon fand letztes Jahr in Wuhan statt, wo in einem Wohngebiet ein Müllverbrennungskraftwerk gebaut werden sollte – das sechste in der Stadt. Die Proteste dagegen wurden mit Gewalt und schließlich sogar mit Hilfe der Volksarmee niedergeschlagen. Tragischerweise erfahren wir oft vom Beginn der Proteste, wissen aber nicht, wie genau sie ausgehen, da die Regierung oft alle Reporter mit Ausnahme der offiziellen Medien hinausschickt.
EB Auch die Online-Zensur scheint effektiv zu sein. Fotos und Videos von den Protesten in Hongkong werden nach kurzer Zeit blockiert. Und auch als Deutsche in China muss man erst ein VPN-Tool kaufen, um Zugang zu deutschen Medienseiten und Nachrichtendiensten zu erhalten.
Pat To Yan Die Pandemie hat die Chinesen, so scheint es mir, aufgeweckt. Das war eine sehr schmerzhafte Erfahrung. Traditionell sehnt sich das chinesische Volk nach einem guten König, das ist tief in der chinesischen Geschichte verwurzelt. Selbst um den Preis einer wohlwollenden Diktatur. Die chinesischen Städte sind wirklich komfortabel. Man geht in die großen Einkaufszentren, schlendert durch Cafés, konsumiert, isst ausgezeichnetes Essen. Die Menschen führen ein ziemlich gutes Leben. Aber es basiert auf einer Abmachung: Wenn ihr uns nicht kritisiert, gewähren wir euch ein besseres Leben. Und jetzt, mit dem Ausbruch von Covid-19, war dieses Leben aufgrund von Fehlern der Regierung plötzlich in Gefahr. Das hat viele Chinesen enttäuscht und Platz für einige andere Gedanken und Perspektiven geschaffen. Ich weiß nicht, ob das längerfristige Auswirkungen haben wird. Aber im Moment fühlt es sich wie ein Zeichen des Wandels an.
EB Die Chinesen haben ja gerade schon einen ziemlich rasanten Wandel hinter sich: die totale Digitalisierung fast aller alltäglichen Verrichtungen innerhalb der letzten zehn Jahre. Jeder Einkauf, jedes Theaterticket, jede Stromrechnung, jedes Privatgespräch – alles, wirklich alles läuft über das Smartphone, weit radikaler als in Europa oder den USA. Im Kontrast dazu, dass somit jede soziale Handlung erfasst wird und zurückverfolgt werden kann, steht die Bereitschaft, sich durchaus kritisch gegenüber der Regierung zu äußern. Vielleicht nicht gerade auf einer Bühne, aber privat durchaus.
Pat To Yan Diese schizophrene Situation entstand bereits nach 1989. Im Privatleben waren die Menschen verärgert, aber in der Öffentlichkeit schwiegen sie. Es gibt de facto keine Öffentlichkeit! Stattdessen hat die Regierung durch das Smartphone tatsächlich Kontrolle über jeden Einzelnen, auch wenn sie diese nicht immer direkt ausübt. Manchmal dauert es ein paar Tage, bis Posts gelöscht werden, und selbst wenn Sie weiter solche Sachen posten, bedeutet das nicht unbedingt, dass es Konsequenzen haben wird. Aber es könnte ganz leicht welche haben, und das wissen alle. Umgekehrt ist ständiger Gegenstand der Spekulation, wie es um den Machtkampf innerhalb der kommunistischen Partei bestellt ist. Der Vorsitzende Xi hat bereits eine Menge Feinde innerhalb der Partei, und so ein Versagen wie bei der Pandemie dürfte ihn eher weiter schwächen. Aber letztlich wissen wir nichts Genaues.
EB Komische Frage vielleicht, aber: Wie chinesisch fühlen Sie sich als Hongkonger?
Pat To Yan Haha! Aus kultureller und ethnischer Sicht bin ich natürlich Chinese, aber politisch bin ich definitiv mit Hongkong identifiziert. Ich bin mehr Hongkonger als Chinese!
EB Habe ich mir fast gedacht, wollte aber sicherheitshalber noch mal nachfragen. Schließlich hat die chinesische Regierung Hongkong von den britischen Kolonialherren befreit.
Pat To Yan Das ist ihr Diskurs! Nach hundert Jahren kehrt der verlorene Sohn endlich in die Arme der liebenden Mutter zurück. Was in etwa das Gegenteil dessen ist, was die Menschen in Hongkong empfinden.
EB Chinafreundliche Stimmen im Westen behaupten, die Hongkonger Jugend sei aus wirtschaftlichen Gründen so aufmüpfig. Ihre Zukunft sei weitaus unsicherer als es die ihrer Eltern noch war. Gleichzeitig behauptet China, ohne seine Interventionen sähe es für die Hongkonger Wirtschaft noch schlechter aus. Ist da etwas dran?
Pat To Yan Es ist dieselbe Strategie, die die chinesischen Kommunisten seit 70 Jahren anwenden: Sie rechtfertigen und rationalisieren ihre eigenen Handlungen und stigmatisieren ihre Gegner, um sie zu isolieren. In den Protesten seit Juni 2019 kämpfen die Menschen in Hongkong für Demokratie und Freiheit, aber nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Eigentlich steht es um die Wirtschaft Hongkongs in diesen Jahren nicht schlecht und die Menschen in Hongkong sind immer noch reich. Das allgemeine Wahlrecht ist zwar in der Joint Declaration garantiert, aber de facto hatten wir es nie. Und wir haben auch nie einen Zeitplan für seine Einführung zu sehen gekriegt. Im Gegenteil, die Unterdrückung nimmt zu, Menschen werden getötet, wenn die Kamera aus ist. Und China denkt, es kann die ganze Welt täuschen. Die andere Strategie ist die Verdrehung von Fakten: Eigentlich braucht China Hongkong, nicht umgekehrt. Niemand auf dieser Welt glaubt an den RMB (Renimbi), vielmehr brauchen sie Hongkong, um Geld zu wechseln und in der Welt zu verdienen. Aber China würde sagen: Ohne unsere Unterstützung bricht die Hongkonger Wirtschaft zusammen.
EB Aus der mitteleuropäischen Kulturblase schauen wir dennoch besorgter in Richtung USA als in Richtung China. Ist das Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?
Pat To Yan Von den vier globalen Supermächten, den USA, China, Russland und der EU, würde ich sagen, ist nur die EU besser als der Rest. Ganz einfach, weil Ethik bei ihren politischen Entscheidungen immer noch eine gewisse Rolle zu spielen scheint. Das ist bei allen anderen nicht der Fall: Russland unter Putin ist autoritär, die USA sind instabil, was sich daran zeigt, dass die Amerikaner Donald Trump zum Präsidenten gewählt haben. Und wir sollten nicht vergessen, dass China einen Völkermord an den Uiguren in der Provinz Xianchi begeht; ich habe ständig ein schlechtes Gewissen, weil wir nichts dagegen tun können. Posthuman Condition handelt davon. Dennoch hoffe ich, dass sich am Ende nicht eine Nation, sondern eine globale Politik, die nach ethischen Standards arbeitet, als überlegen erweist. Denn was können wir tun, wenn alle Großmächte faschistische Regime werden? Das ist das Besorgniserregendste in der Welt nach einer Pandemie. Murakami hatte das berühmte Bild von der Mauer und dem Ei. Für mich steht fest: »Ich werde immer auf der Seite des Eis stehen.«
EB Viele europäische Linke sehen die EU in Sachen Ethik sehr kritisch. Vor allem wegen der europäischen Migrationspolitik und der immer aggressiveren Isolierung vor Flüchtenden aus dem globalen Süden.
Pat To Yan Ja, ich weiß. Hinzu kommt jetzt noch die Pandemie mit weiteren Grenzschließungen und Abriegelungen. Es gibt Befürchtungen, ob Europa nach der Pandemie noch autoritärer werden wird. Meine Freunde aus Frankreich sind sehr besorgt darüber. Auch ich mache mir Sorgen: Wird Europa stärker isoliert oder zersplittert sein, ich meine die Länder untereinander? Wird es abhängiger von der chinesischen Regierung sein und die Augen vor all der Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte verschließen?
Das Gespräch wurde auf Englisch geführt – übersetzt von Eva Behrendt. Es erschien zuerst in Theater heute in der Juli Ausgabe 2020 und wurde für das Logbuch nur leicht gekürzt.