Harald Lesch stellt auf einer Konferenz zu den klimatechnischen Auswirkungen der heutigen Landwirtschaft fest, dass das Geldsystem ein maßgeblicher oder: der eigentliche Hintermann in Sachen Klimaerwärmung ist. Die Natur interessieren die paar Grad Celsius Temperaturschwankungen kaum, derartige Hitzewallungen sind Teil ihres Systems, allerdings wirken sich auf uns schon zwei Grad Celsius Erderwärmung dramatisch aus. Das System Klima scheitert also nur innerhalb »unserer Welt«. So verhält es sich auch beim Börsencrash. Diese Art von Eruptionen passieren nicht in Wirklichkeit, auch wenn die Nachrichten davon berichten, aber auch die meisten Nachrichten beschäftigen sich nicht mit der wirklichen Wirklichkeit, die Aktien brechen reihenweise ein, und nicht einmal Rauch steigt auf, nicht einmal der Boden bebt, kein Donner, keine Eiszeit, keine Verwüstung. Börsenabstürze passieren nur innerhalb »unserer Welt«.
Und trotzdem scheint das Geldsystem als quasi-fiktives, theologisches, also reines Glaubenssystem dem Klimasystem derart zuzusetzen, dass es für »unsere Welt« katastrophale Auswirkungen hat. Der Klimawandel wird durch einen unterschwelligen Faktor angeheizt, den es eigentlich gar nicht gibt. Wenn das nicht typisch für die Technologie Mensch ist. Also was wäre zu tun? Und jetzt kommt die gute Nachricht: Wir müssen nicht gleich den gesamten Planeten retten, gegen Armeen von Feuer speienden Drachen oder außerirdische Mächte kämpfen, es reicht schon, dass wir die Übeltaten in »unserer Welt« ausschalten. Denn sowohl beim Klima als auch beim Geld haben wir es mit einem System zu tun, und Systeme haben die Eigenart, scheitern zu müssen. Und wir müssen nun dafür sorgen, dass die Dramaturgie stimmt.
Geld ist ja an sich eine Spitzenerfindung, so clever, befreiend und ökonomisch im Einsatz, dass die Natur es fast selbst für uns erfunden haben könnte. Das Geld an sich ist also nicht das Problem, sondern was es aus uns macht. Zucker, Koks, Alkohol oder Heroin sind an sich ja auch nicht das Problem. Wir Menschen sind süchtig nach Belohnungen und nach Leidensfreiheit, unter dem richtigen Einsatz von finanziellen und emotionalen Zuwendungen und Aufmerksamkeiten lassen wir uns sehr leicht kontrollieren und abrichten. Wie jedes liebe Tier übrigens. Der Unterschied zu Tieren besteht nur darin, dass wir den Glauben entwickelt haben, auch aus nicht objektiv oder physisch vorhandenen Gründen geliebt und gefürchtet werden zu müssen. Während man in grauen Vorzeiten, natürlich vorzivilisierten Zeiten, für Macht und Ansehen noch Beute erlegen musste, die mindestens größer war als man selbst (wie es sich in der Natur gehört), reicht es spätestens seit Einführung des Fiatgelds, anderen plausibel und glaubhaft zu machen, dass man etwas ist und etwas hat, was die meisten nicht haben oder was sie haben wollen. Und Geld bzw. Reichtum bzw. Besitz spielen dabei eine wichtige Rolle.
Am Anfang des Geldes war der Glaube daran. Selbst als Geld noch materiell und ihm ein realer Wert zugeschrieben, als es zum Beispiel noch aus Silber war, musste allgemein daran geglaubt werden, dass Silber etwas wert sei, denn es ist ja eigentlich (wie auch Gold) nur ein Element im Periodensystem der Chemie, das in der Natur vorkommt. Und die Natur macht kein großes Aufhebens um ihre Silber- oder Goldvorkommen, lässt sie nicht durch Löwen oder Schlangen oder undurchdringliche stachelige Hecken bewachen. Faktisch sind sie ihr so wichtig wie jeder Stein und jeder Baum (wenn ihr am Baum nicht sogar mehr liegt).
Heute steht Geld bzw. der Wertetransfer an der Schwelle zur völligen Immaterialisierung. Geld kehrt allmählich zu seinem eigentlichen Urzustand zurück – zur Idee oder besser: zur Information, denn Geld wird heute weitgehend behauptet. Das Geld auf deinem Konto ist ja nur das Versprechen der Bank, eigentlich ist es gar kein Geld mehr. Die Bank sagt: Ich schulde dir das. Dann kannst du ihr nur vertrauen und hoffen, dass sie es nicht verzockt.
Schuldversprechen sind das Grundprinzip der Wertvermehrung. Sagen wir, du gewinnst eine Million im Lotto. Jetzt gehst du zur Bank und holst dir noch zwei Millionen, weil du investieren willst. Dann gehst du zu einem Freund, leihst ihm die Lottomillion, er gibt dir ein Schuldversprechen, was bedeutet, dass du den Wert von einer Million noch behältst und er ihn ebenfalls hat. Wenn du ihm das Geld schenkst, geht er bloß von dir an den Beschenkten über, es vermehrt sich nicht. Dein Freund geht nun auch zur Bank und bittet um weitere zwei Millionen, weil er natürlich investieren will. Eine Million gibt er dir zurück (die du dann wieder an jemand anderen verleihen kannst), und eine weitere Million leiht er wiederum einem anderen Freund, der sich dann von der Bank wiederum seine weiteren zwei Millionen holt. Geld verbindet also auch, denn Geld ist nichts weiter als ein Versprechen, eine Floskel, und die Finanzwelt ist ihrem Wesen nach nichts anderes als die größte Kolportationsindustrie des Planeten. Geld ist Fiktion, Proklamation. Und deshalb kommt es hier vor allem darauf an, wie erfinderisch und glaubwürdig du bist. Deshalb scheint es für einen Ökonomen, Finanzdienstleister oder Banker heutzutage einträglicher zu sein, in Hogwarts als in Harvard studiert zu haben.
Denn nur so kommen jedes Jahr neue Milliardäre ins Spiel mit weiteren vielen Milliarden, die sie erfolgreich hergezaubert haben unter Zuhilfenahme von so genannten Plausibilisierern, strukturimmanenten Eminenzen bzw. Instanzen, die diese Geldzauberei akkreditieren und autorisieren. Um reich zu werden, musst du täuschend echt hochstapeln, überzeugend verhandeln und vortäuschen können, denn das »ganz große Geld« entsteht meistens aus dem »Nichts«, das meistens nichts mehr ist als das Wort, das immer am Anfang war, nämlich die Worte, die zur Überredung nötig waren, sowie die der anschließenden Autorisierung. Also: Fiat pecunia! Nur das »kleine Geld« wird noch aus realen Leistungsverhältnissen generiert. Dass das »ganz große Geld«, das jedes Jahr kurioserweise dazuerfunden wird, nicht unter den Verdacht der gewerbsmäßigen Geldfälschung fällt (wie es die §§ 146 – 152b des Strafgesetzbuchs§§ 146 – 152b des Strafgesetzbuchs definieren), kann vielleicht damit erklärt werden, dass Banden ein d nach dem n haben, aber Banken ein k.
Wie zerbrechlich das derzeitige Finanz- und Bankensystem ist, können du und deine fünftausend Follower in deinem sozialen Netzwerk sowie deren jeweilige fünftausend Follower sowie wiederum deren fünftausend Follower und so weiter mal spaßeshalber ausprobieren und auch den Rest der Bevölkerung in Deutschland davon überzeugen, an einem selbstgewählten Stichtag 2.000 € (das Tageslimit bei dem meisten Banken) abzuheben. Spätestens zur Mittagspause tritt unsere Kanzlerin mit der Merkel-Raute vor die Presse und bittet die Deutschen um Vertrauen. Aber (und das lehrt uns die Geschichte) nur die Fiktion Geldsystem auffliegen zu lassen und ersatzlos zu stürzen, führt zu Gewalt, Hunger und Verwüstung »in unserer Welt«. Andererseits wären die Auswirkungen auch dann dramatisch, sollte jetzt jeder Milliardär werden. Die (fiktiven) superlativen Geldmassen würden derart auf die Biomasse unseres Planeten drücken, dass wir fürchten müssten, zu einem schwarzen Loch zu implodieren und dort für immer in der Dunkelheit zu verschwinden.
Dennoch: Geld muss man mögen, man muss es lieben, damit man daran glauben kann. Durch den Geldwert als Schuldversprechen werden die Menschen förmlich aneinandergekettet, sie müssen einander vertrauen, hier sind die Erfolgsquoten höher als unter Einsatz von Sozialpädagogik. Das Geld ist und bleibt die bisher fairste und einfachste Technologie gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung. Als Geschenk ist es unschlagbar und löst die größte Freude und Dankbarkeit aus. Als Belohnung für eine Leistung gibt es nichts Passenderes. Und nur jeder für sich weiß, wie viel er davon braucht und händeln kann.
Zurück zu Harald Lesch und zum Dilemma: »Die verdammte Fiktion ist Wirklichkeit geworden«. Er sagt, dass wir allmählich systematisch unser kognitives Organ durch die Geldbörse ersetzen, er will damit sagen, dass unsere Gehirne zu Portemonnaies verkommen. Und er sagt das mit richtig besorgter Miene. Wir wissen, Moral und Appell an die Vernunft haben bei der Mehrheit der Menschen nie viel gebracht. Wenn wir also wissen, dass unsere Gehirne in Zukunft als Quasi-Banken funktionieren werden, ist die historische Stunde nahe! Denn damit unsere Gehirne von den oben genannten Banken oder sogar Banden nicht missbraucht werden, müssen wir das Vertrauen, das wir heute noch diesen Banken aussprechen, zunächst einmal in uns selbst haben. Der Moment könnte angebrochen sein, an dem wir das gesamte Geldwesen friedlich revolutionieren nur mit der Kraft unseres Geistes, ohne Hungerkatastrophe, ohne bürgerkriegsähnliche Zustände, nur mit der Macht unserer Fantasie und Überzeugung. Und mit der Kraft der Fiktion! Durch Selbstermächtigung entziehst du dem System das Vertrauensmandat.
Und dafür empfehle ich ein Trainingsprogramm mit der Nothing-Box. Ein schlichter und federleichter Behälter für deine zukünftigen virtuellen Werte, die sofort hörbar werden, wenn du die Box schüttelst. Jeder von uns braucht mehr Erfahrung mit der Erfindung von Geldmassen. Wer also kein Geld hat, hat womöglich nur noch nicht daran gedacht, welches zu haben. Vielleicht weiß er auch gar nicht, was Geldmassen sind. Die Zauberformel „Fiat pecunia!“ (Es werde Geld!) sollte aber auf keinen Fall laut ausgesprochen, sondern nur wie ein Mantra gedacht werden. Richte beim Einsatz der Hilfsmittel deine Aufmerksamkeit vollständig auf dich, vergiss die Oberschicht, denk daran, dass sie nur reich ist, weil du an sie glaubst und ihr vertraust. Stell sie dir einfach vor, wie du dir früher den unheimlichen Physiklehrer in weißer Baumwollunterwäsche vorgestellt hast, löse dich in Gedanken aus den Gravitationsfeldern der Geldelite.
Die Nothing-Box ist äußerst günstig zu haben und schlicht im Einsatz. Vergiss die Bedienungsanleitung! Kleb sie unbedingt zu, sie darf keinesfalls zu öffnen sein! Denn jeder muss hier die Menge an Geld reinlegen können, die er gerade braucht. Beim Benutzen kommt es nur darauf an, dass man dir den Wert, den diese Box beinhaltet, abnimmt, such dir dazu immer ein paar Deppen als Zeugen und Plausibilisierer und versprich ihnen eine Beteiligung. Und wenn das gelungen ist, mach die Leute richtig heiß, damit sie auch so ein Ding brauchen. Und wenn das hinhaut, dann bestell dir so viele Nothing-Boxen, wie du bezahlen kannst, melde ein Patent an und kündige danach in allen sozialen Netzwerken das einzig wahre Wertschöpfungssystem der Zukunft an: dezentral, flachhierarchisch, individuell, Banken-frei und ganz ohne Strom, weil nur mit der Kraft des Geistes betrieben. Und keine Angst vor dem Vorwurf der Geldfälschung, du machst es genau wie die Banken, du druckst kein Geld, du behauptest es bloß. Denn diese Nothing-Box monetarisiert jeden Einfall und jeden Tauschwert, nämlich von einer Nothing-Box zur nächsten. Auf diese Weise entsteht das neue virtuelle Geldmassennetzwerk mit nur diesem leichten, kleinen Aludingens, das jeder immer bei sich tragen und bei Bedarf bestrickend schütteln kann, ein treuer Begleiter im Leben. Denn auch wenn dein Kopf einmal leer sein sollte, füllt ihn die Nothing-Box mit verlockenden Geräuschen.
Wie heißt es so schön: Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen! Deshalb mach dich bereit für mein nächstes Fundstück hier auf Suhrkamps Logbuch.