(zu seinem 80. Geburtstag)
Wenn ich an Schleef denke, will ich mir gern vorstellen, daß wir immer, immer, immer zusammen gearbeitet hätten, nicht im Sinn einer direkten Zusammenarbeit, die mir grundsätzlich nicht möglich gewesen wäre und ist, sondern im Sinn eines Sich-Auslieferns. Mit meinen Textkörpern würde er mein Denken (schwach), meine Vernunft (nicht vorhanden) und meine Einbildungskraft, meine Phantasie angeliefert bekommen. Ein Kleinlaster würde es ihm hinkippen, den ganzen Haufen, und das müßte dann in seinen großen Körper hinein, und sein Körper müßte sich wiederum so verkleinern, daß er es beschützen könnte, so wie manche Vögel ihre Küken unter die Fittiche nehmen. Sie wirken dann größer, wie sie so da liegen. Schleef aber war ja vorher schon groß, er kann sich über die Sprache stülpen, und dann ist sie seine, sie kommt dann von ihm, nicht mehr von mir. Er würde meine Sprachbrocken dann, was ich nicht kann, in sinnliche Gebilde umwandeln. Mit der Sinnlichkeit ist es, gemäß manchen Philosophen, so, daß sie soviel wie eine endliche Anschauung ist. Und diese Endlichkeit besteht (z.B. bei Heidegger) im Hinnehmen des Sichgebenden. Es gibt keinen Rangunterschied von Sinnlichkeit und Verstand, schon gar nicht dem Gewicht nach.
Schleef hat seinen sinnlichen Körper also zum Anschauen, aber auch wieder zum Denken (beide waren für ihn untrennbar) vorgestellt, auch vor meine Texte gestellt, die dadurch zum Glühen gebracht wurden und auf einmal mit Licht geworfen haben. Man kann zwar sagen, sie seien unterschiedliche Weisen des Vorstellens, aber welches Vorstellen, welche Sinnlichkeit, wo treffen wir uns da, ich und Schleef? Sprache kann ich nicht anders als sinnlich denken, selbst wenn ich antike Dramatiker zitiere. Es soll sein wie zum Anfassen. Marmorblöcke werden umgewälzt und zeigen ihr Geschlecht, jeder das seine. Schleef hat nicht nur den Zusammenhang und Zusammenhalt von Denken und Sinnlichkeit (nicht: Sinn und Sinnlichkeit) in seinem eigenen Körper dargestellt, indem er beide verschmolzen hat, sondern er hat, selbst wenn ich zart an den Saiten des Verstandes gezupft habe, ob er noch da ist, er hat also mein Angewiesensein auf den Verstand, mit dem ich etwas analysieren wollte, abgeräumt, durch die Körper, die er auf die Bühne gestellt hat, aber auch durch sich selbst, wenn er sich da hingestellt (ausgestellt) hat, und er hat dieses Konglomerat dann zur Anschauung ja: geprügelt, gezwungen. Er hat sich ihm aufgezwungen.
Keine Ungezwungenheit bei Schleef! Er hat dann das Sprechen durch fast unvorstellbare Exaktheit der Chöre wieder zurück in diesen dunklen Raum gescheucht, den ich nicht benennen kann, der Körper ist und aus dem Körper kommt, aus seinen Bedürfnissen und Sehnsüchten, was weiß ich. Er hat das Denken in die Körper zurückgetrieben, als wäre es ein Tier, und erst dadurch konnten sie denken, diese Körper, weil sie nichts andres als Körper sein durften, das heißt: konnten.