Christiane Frohmann (Frohmann Verlag), Andrea Nienhaus (andreanienhaus.de), Nikola Richter (mikrotext) und Fabian Thomas (shelff) publizieren unter dem Motto: digital first – E-Books zuerst. Gemeinsam organisieren sie am 21. Juni 2014 in Berlin die Electric Book Fair, die erste E-Book-Messe Deutschlands. Im LOGBUCH erzählen sie von ihrer Begeisterung für digitales Publizieren und elektrisches Lesen.
Christiane Frohmann: Papier ist zu geduldig
Der Frohmann Verlag wurde von mir im Juli 2012 als Weiterführung des 2011 gestarteten experimentellen Imprints eriginals berlin gegründet. Vermutlich bin ich die dienstälteste E-Book-only-Verlegerin Deutschlands.
Im Zentrum stand und steht die Idee, am Qualitätsanspruch eines klassischen Verlags festzuhalten, sich mit den Autoren aber an die noch opaken kulturellen Phänomene heranzutasten: neue Formen von Kultur, Kunst und Literatur, die sich mit rasender Geschwindigkeit im Netz und durch das Netz entwickeln. So sind u. a. kulturwissenschaftliche Titel zur ästhetischen Praxis des Botoxen, zu digitalen Kürzestschreibweisen und zum Hype um die Internetkatzen entstanden. Es folgen E-Books mit Twitterwerkstattberichten, Ansichten zum Berliner Unschick und Positionen zum aktuellen Verhältnis von Ästhetik und Revolution. E-Books sind für mich das aktuell ideale Medium für meine Arbeit, weil sie versionierbar und schnell zu produzieren sind.
Die klar definierten Rollen von Verleger, Autor und Leser gelten im Frohmann Verlag nicht mehr viel. Die Grenzen verwischen, weil im Netz neue Formen der Anteilnahme und Mitwirkung entstanden sind. Auch mein Marketing funktioniert über neue dynamische Formen, denen eine Verklammerung von Real Life und Internet zugrundeliegt. Am sichtbarsten wird dies beim Katersalon, der die ganze Zeit im Netz und einmal im Monat an der Volksbühne stattfindet. Er ist keine Werbeveranstaltung für den Verlag, sondern eine offene kulturwissenschaftliche Performance, in der sich abzeichnende Themen und interessante Konstellationen von Autoren in den Blick genommen werden.
Meinen verschiedenen Unternehmungen und Formaten rund um den Frohmann Verlag liegt kein offensiv revolutionäres Programm zugrunde. Angestrebt wird eher eine Vermittlerrolle zwischen alter und neuer Lesekultur. Das Neue ergibt sich durch meinen Habitus und meine Denkweise. Ein aufgeklärt entspannter Umgang mit einer sich ständig verändernden kulturellen Umwelt interessiert mich nicht nur in der Theorie, er sorgt dafür, dass ich ein gutes Leben führe.
Meine Produktionsmittel bei der Verlagsarbeit sind denkbar bescheiden: ein Laptop und ein Smartphone. Die Produktionsenergie, welche das eigentliche Kapital meines Verlags ausmacht, ergibt sich aus dem leidenschaftlichen Umgang mit vielen, vielen Menschen. Im Netz und draußen. Ich mache auf soziale Weise Bücher. Mit Autoren, Herausgebern, Lesern und Verlegern, die ähnlich wie ich gestrickt sind.
Andrea Nienhaus: Digitalverlag! Bücher!
Im Winter 2012 fragte mich meine Kollegin Nikola Richter, ob ich mir vorstellen könne, mit ihr für ihr neues Vorhaben, einen Digitalverlag, der später mikrotext heißen sollte, zu arbeiten. Digitalverlag! Bücher! Ich sagte sofort zu, auch wenn ich zunächst noch keinen blassen Schimmer davon hatte und es mir sehr kompliziert schien, wie und wo ich ein E-Book lesen sollte. Ich legte mir rasch ein iPad mini zu, fand schnell heraus, wie die Datensynchronisation funktioniert und fing an, das Coverdesign für den neuen Verlag zu entwerfen, auf der Grundlage der Schrift »PTL Attention« von Viktor Nübel, der auch das Logo für den Verlag gestaltet hatte. Ich recherchierte zunächst noch einmal die Grundlagen einer guten Buchcovergestaltung, vor allem im Zeitalter von Online-Shops, in denen die Cover auch fingernagelgroß noch zu lesen sein müssen und Klappentext und Buchrücken entfallen. Ich erinnerte mich an mein erstes Praktikum in einem Designbüro für Buchcovergestaltung und mein damaliges Vordiplom an der Universität der Künste, in dem ich der Geschichte der Buchcovergestaltung, insbesondere der des Suhrkamp Verlags, auf den Grund gegangen war. Jahre später schloss sich also der Kreis. Mittlerweile baue ich auch das digitale Innenleben der Bücher, mache das Layout und produziere mit großer Freude die ePub-Dateien und kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es war, als ich nicht wusste, wie es ein E-Book auf mein Lesegerät schafft. Und über erste Aufträge für die ePub-Erstellung konnte ich mich in der Zwischenzeit ebenso freuen.
Nikola Richter: Eine Oase im Netz
Ich verstehe die Gründung eines E-Book-Verlags (oder anderer digitaler selbstständiger Veröffentlichungskanäle) als politische und ästhetische Verortung. Daher war es auch nur konsequent, meinen Digitalverlag mikrotext im Frühjahr 2013 mit Alexander Kluges Essay Die Entsprechung einer Oase zu starten, in welchem er dazu aufruft, die Vielfalt der Medien durch eigene, unabhängige Gründungen zu bewahren. Der Text für seine Veröffentlichung entstand durch ein Telefonat mit mir, bei dem ich ihm über aktuelle Formen des digitalen Kulturkonsums befragte. Er sprach eine halbe Stunde druckreif, ich protokollierte und ließ das Ergebnis dann noch von ihm durchsehen. »Mit Ihnen arbeite ich gerne wieder zusammen!«, rief er – und fragte mich sehr interessiert nach dem Format E-Book aus.
Und das ist meine Grunderfahrung nach einem Jahr mikrotext: Die Autorinnen und Autoren, mit denen ich zusammenarbeite und -arbeiten will, hatten bisher absolut keine Bedenken gegenüber diesem digitalen Format. Sie verstehen sehr schnell, dass ein E-Book ein neuer Weg ist, Leserinnen und Leser zu erreichen, ihre Texte zugänglich zu machen und auf ihre anderen Arbeiten – natürlich auch die gedruckten Bücher – digital hinzuweisen. Für einige war es eine neue Erfahrung, weder die Verlegerin noch die Veröffentlichung jemals zu sehen, da oft selbst die Kontaktaufnahme und das gesamte Lektorat digital abläuft, aber alles, was die Arbeit eines Verlags mit einem Autor ausmacht, die Textplanung, das genaue Lesen und Nachfragen, die Titelfindung, also die Wertschätzung des Geschriebenen, findet mit Genauigkeit und Liebe statt.
Die Frage, ob ein Text im Netz entstanden ist oder nicht (meist entsteht er ja heute sowieso am Bildschirm, auch bei den scheinbaren Bewahrern des Alten, Besseren, Schöneren …), ist daher für mikrotext ebenso irrelevant wie die Papierausgabe. Ein guter Text ist ein guter Text, egal in welchem Medium. Oft ist das Netzgeschriebene sogar, etwa wie bei dem syrischen Autor Aboud Saeed, wie ein klassisches Manuskriptkonvolut. Aboud Saeeds Übersetzerin Sandra Hetzl wühlte sich durch zwei Jahre Facebook-Statusmeldungen, um die Texte für seine allererste Veröffentlichung Der klügste Mensch im Facebook auszuwählen. Der »syrische Bukowski« (ZDF/Aspekte) hatte vorher schon die Anfragen von Printverlagen abgelehnt: Das Digitale passe zu seinem täglichen, netzaffinen, anekdotischen Schreiben besser als ein Buch, das im Buchladen liegt.
Jetzt könnte man uns vorwerfen: Ja, warum ist dann genau sein E-Book auch als »gedrucktes E-Book« bei mikrotext zu haben? Weil es konsequent ist, weil es immer noch digital first ist. Und weil die Nachfrage da war. Die erste kleine Auflage ist bereits verkauft, die zweite fast zur Hälfte. Und auch der Buchverkauf läuft anders als im klassischen Verlagsbetrieb: über Veranstaltungen und direkt beim Verlag, also im direkten, persönlichen Kontakt mit Autor oder Verlegerin. Das Buch bleibt aber die Ausnahme, denn wo sollen wir denn das viele Papier aufbewahren? Unter meinem Schreibtisch in meinem Gemeinschaftsbüro in Berlin-Kreuzberg, wo ich zusammen u.a. mit der klugen Kommunikationsdesignerin Andrea Nienhaus arbeite, die für die gewagten und neonbunten Cover von mikrotext und die ePub-Herstellung verantwortlich ist, steht noch eine Buchkiste. Mehr Kisten sollen es erstmal nicht werden.
Um die Unabhängigkeit noch weiter auszuformen, starten wir zur Leipziger Buchmesse außerdem mit einem eigenen Shop auf der Verlagsseite. Machen Sie mit, bleiben Sie unabhängig!
Fabian Thomas: Fast Forward! Rewind! Play Again!
Am Anfang hieß shelff noch anders. Und das ist vielleicht symptomatisch für die Entstehungsgeschichte unseres Projekts: Mit wechselnder Besetzung, übersprudelnden Ideen und lebhaften Diskussionen haben wir seit Mai 2013 an diesem gemeinsamen Verlag geschraubt und gewerkelt. Wir, das ist eine zusammengewürfelte Gruppe bestehend aus einem erfahrenen Verleger, einem Übersetzer und Philosophen, einem Fotografen und Gestalter und einem Literaturblogger und Social-Media-Experten. Was daraus entstand, konnte man im Dezember auf zwei Veranstaltungen mit Mely Kiyak und Katharina Enzensberger erleben. Mely Kiyak hat ein türkisches Reisejournal bei uns veröffentlicht, Katharina Enzensberger lange aufbewahrte Erzählungen. In einer Galerie und einer Bar haben die beiden performt und daraus vorgelesen. Und auch das ist symptomatisch für shelff: Wir wollen unsere Bücher nicht nur in die digitale Welt hineinwerfen, sondern sie auch auf die Bühne und in die Bars bringen. Mely Kiyak hat sogar ein zweites Mal, diesmal mit Musikern und Schauspielern, ihre Istanbul Notizen im Studio Я des Maxim Gorki Theaters performt. Digital und analog sind ein Paar. Veranstaltungen gehören genauso zum Konzept wie die geplante Produktion von Art Prints: Editionen, die in der Kooperation von Autoren und Künstlern entstehen. shelff setzt im besten Fall eine neue Dynamik in Gang. Leser können Autoren und Autoren Verleger werden. Join the ride – trust your shelff!