In was für rauhen Regionen wir die meiste Zeit
Fern der vertrauten Umgebung verbringen
In den erinnerungslosen Phasen der Nacht,
Zeigt sich erst, wenn ein Zwischenfall
Uns aus dem Schlaf reißt. Ein Kind hat geschrien,
Ein Alarmton uns wachgerüttelt: Da stürzen
Wir aus der inneren Dunkelheit bruchlos
In die äußere – das Gelände der Gegenwart
Mit seiner Vielzahl der Dinge auf nacktem Belag.
Nicht nur der Wecker tickt, auch das Herz
Macht Geräusche inmitten der schlaflosen Stadt.
Der Schock des Wiedererkennens gleitet
Vorbei mit den Jahren, und nun erweist sich,
Daß es ein Territorium gibt, zu dem der Traum
Nur ein Vorspiel war – wie ein japanischer Film
Ohne Untertitel: Abenteuer in einer fernen
Gebirgslandschaft, einer grausamen Ära
Mit viel Regen, Geschrei, sterbenden Samurai
Oder was immer gerade die Leinwand füllte
In den Momenten der Gegenzeitlichkeit –
Bevor wir in tiefere Schlafschichten sanken:
Eine Welt, zu der wir nie Zugang fanden.
Schrift hält fest, was wir sind, kaum daß von uns
Etwas nach außen dringt. Das Unbewußte
Entgeht ihr. Es ist da, wo wir unbedacht wandeln
Wie das Kind, das schon jahrelang schrie.
Oder anders: Es gibt ein Land, das wir betreten,
Wenn das innere Auge geschlossen ist. Dort
Geht die Sonne nie unter, und immerfort
Herrscht dieselbe arkadische Helligkeit, ein Licht
Wie nach der Sonnenfinsternis. Wir sind,
Wenn wir träumen und uns als Zeugen
Im Traum erkennen, längst auf dem Rückzug
Von diesen unvordenklichen Wanderungen
Durch die Zentralmassive des Schlafs.
Geröll unterm Schnee, das ist die Zone,
In der es falsch ist, zu sagen: ich denke – ein Feld,
Aus dem keine Information nach außen dringt,
Vom Tiefschlaf beschützt, ein Sperrgebiet. Es liegt
Immer schon fern, wenn die Träume enden,
An die wir uns später bruchstückweise erinnern.
Was erzählbar ist, scheint gerettet. Es wird
Sogleich integriert in das Märchen vom Ich,
Das der Traum um uns schlägt wie einen Mantel.
Wir gehen herum in den Außenbezirken der Kunst,
Die in uns schlummert. Auch schien der Mensch
Im Schlaf schwerer zu sein. Schwerer als was?
Von früh an wird sie gesammelt, aus Fetzen,
Die kaum zueinanderpassen: Diese eine Person,
Die auftaucht, während sie untergeht, sich findet
In Momenten der Schwäche und des Verlusts.
So fangen wir immer gerade erst an,
Ermüdend auf halbem Weg. Wie in den Museen
Viele erschöpft auf den Bänken dämmern,
Umgeben von Flußlandschaften, in denen Nymphen
Natur symbolisieren und eine nackte Venus
Sie träge im Auge behält unter gesenkten Lidern.
Müde der Fingerzeige aufs eigene Herz,
Himmelwärts, auf die Inschrift an Sarkophagen
In vager Schäferlandschaft oder hinaus in ein fernes
Dickicht der Wälder, schlafen sie ein.
Sie schlafen den Fernfahrerschlaf inmitten
Quasselnder Schulklassen, disziplinierter Massen,
Die sich der Kunst unterwerfen, als wäre nun sie
Der vielfach umworbene, schwer zu erobernde
Mittelpunkt aller Betriebsamkeit,
Lohn der Mühen so vieler Geschlechter.
Und das war nur einer der stillen Kurzschlüsse
Im Traum, der wie geschmiert funktionierte.
Etwas anderes waren die nackten Leiber,
Die noch zu allen Zeiten Wege bahnten,
Jedes Walddunkel lichteten, das Grün der Wiesen
Und Uferhänge erhöhten, hinter Ruinen
Trost versprachen mit ihrem milchigen Inkarnat,
Selbst eine Augenweide. Ich geb es auf,
Sagt sich mancher, in Anbetracht dieser Frauen
Lässig hingelagert, halb schlummernd, halb
In ein Spiel der Augen vertieft an den Quellen,
Den lieblichen Stellen inszenierter Natur –
Vor lombardischen Hügeln, asolanischen Bergen
Mit Primeln und Rebhühnern im Vordergrund,
Delikat gepinselt wie um die Scham der Schleier,
Und nickt ein, als hätte das Murmeln der Farben,
Ein Geflüster hinter den Leinwänden hervor,
Ihn zwischen allen Terminen gefällt.
Dann bringt ein Luftzug die Stadt ins Gewicht,
Ihr Rauschen zur Schließzeit. Wir wechseln die Plätze
Und sind wieder die alten, unauffällig gekleidet
Wie immer jenseits von Traum und Karneval.
Nun reden wir plötzlich, reden und gleiten im Reden,
Die Hand auf dem Rücken, sicher dahin
Auf den weithin gebahnten, angenehm glatt
Polierten Oberflächen psychischer Standards,
Umkurven Wissenslücken, tauschen Vertrautes.
Darunter liegen, zunehmend unbehaust,
Fürchterlich anzuschauen nach Jahren der Dürre,
Wie im Bergsee die Spiegelung dunkler Felsen,
Die Reiche der Phantasie, Negativhimmel
Des nie gestillten Verlangens.
Sie bringen das Verstummen mit sich
Wie der Gedanke an die kalten Schultern
Der Felsengipfel, Halden von Geröll und Schutt,
An denen nur der Übergang uns tröstet: sie als Paß
Und herrliche Gebirgetreppe, wie der Abstieg
Über die Alpen nach Italien: von diesem Grau
Zu jenem Blau im Tal, gut drei Oktaven höher.
Bis wir erneut ansprechbar sind, und sie sind vorbei,
Der stumme Alleingang, das Konzerterlebnis,
Diese Verlorenheiten in den Kühlhallen der Kunst,
Dies Abtauchen in die absolute Isolation,
Von der die Träumer wenig berichten können,
Weil alles vergessen ist, nie erinnert war.