Der Roman Winters Garten von Valerie Fritsch und Alexander McQueens Kollektion Plato’s Atlantis scheinen geradezu geschwisterlich. Bei beiden gehen das Schöne und das Bizarre zärtlich Hand in Hand. Nein, viel eher: Die Schönheit ist bei beiden eine mächtige, strahlende Königin, die ihr Zepter des Bizarren eisern lächelnd im Schoß ruhen lässt, bereit, es jederzeit über allen Köpfen zu schwenken.
Der streng regulierte Sprachexzess, wie ein üppiger französischer Garten pervers in Blüte stehend, hat sein optisches Gegenstück in einer Kollektion, in der Drucke von Mottenflügeln, Quallen und Blüten in größter technischer Präzision ein perfekt choreographiertes optisches Drama darstellen.
Auch inhaltlich gibt es Überschneidungen: den Untergang. Während Atlantis schon seit geraumer Zeit unter Wasser liegt und Alexander McQueen davon ausgeht, dass wir bald dahin zurückkehren, steht Winters Garten der Untergang noch bevor, und in beiden Werken ist die dekadente Ästhetik bis auf die nadelfeine Spitze getrieben.
Bei McQueen schwankt sie auf turmhohen Absätzen, die beim Anziehen von Waghalsigkeit flüstern,
bei Valerie Fritsch liegen die Wortgeflechte so seufzend-schön, hauchend-morbide auf dem Papier wie ein Friedhofskranz, dessen erste Blüten sich bräunen, auf der marmorschimmernden Grabplatte eines Jugendstilmausoleums.
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Rückblickend – natürlich rückblickend, durch das Nach-vorne-Schauen hat noch niemand was gelernt – sieht man diese Kollektion durchzogen von Trauerschlieren über den Verlust Alexander McQueens, der ein paar Monate nach Beendigung dieser Kollektion auch sein Leben beendete, und liest darin eine Vorahnung des eigenen Untergangs.
Fälschlicherweise, denn jeder vernünftige Mensch hat Weltuntergangsphantasien, die unabhängig sind von Selbstzerstörungswünschen.
Allerdings wird die Weltuntergangsphantasie selten in so schöne Form gebracht wie von Alexander McQueen und Valerie Fritsch.
»Die Hähne aber waren blass geworden, farbloser kamen sie ihm vor als noch vor ein paar Monaten, als ahnten sie, dass es bald zu Ende ginge. Hoch über den Dächern leierten sie ihre Hymnen, während die Odinshühnchen dick und bunt über mehrere Fächer verteilt in einem vergitterten Kleiderschrank saßen, den Anton Winter umgebaut hatte in eine Voliere, und leise an den Tränken nippten. Jeder Vogel war anders, sie alle sangen verschiedene Lieder, aber Anton schien jede Melodie ein Totenlied. Und während die einen tagelang erstickt vor sich hin zirpten, schrien manche andere nach Wochen des Schweigens in der Nacht auf mit einem einzelnen hohen Ton, um sogleich erneut erschrocken zu verstummen.«
»Lange studierte sie seine Vergangenheit, suchte sie zwischen den Schlangenhäuten seiner Kindheit, suchte den Augenblick, in dem man das stets zu eng geschneiderte Kleid des Kleinseins an den Nagel hängt und das Kindergesicht zu den anderen Faschingsmasken auf den Dachboden räumt. Sie nahm die alten Schuhe zur Hand und bemühte sich, an ihnen abzulesen, wann sie groß genug geworden waren für die Spuren, die man hinterlassen wollte. Sie spürte den Wachstumsschmerzen der Kindheit und den Wachstumsschmerzen der Erwachsenen nach. Man ist immer auch ein Kind, das man einst war, dachte Friederike mit einem Blick auf Anton, es wächst ja nur ein großer Mensch darum herum, der dann alt und faltig wird, bis er wieder in sich zusammenfällt.«
Fotos: © Alexander McQueen Trading Ltd / Anne Deniau Zitate im Text: © Suhrkamp Verlag / Valerie Fritsch