Die ganze civilisirte Welt zu einem fürtreflichen Viehfutter.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 25. Januar 2018
Die einfachste Form der Poetisierung ist die Dekontextualisierung. Sagt jemand, der den Pschyrembel als gewaltiges poetisches Werk voller sprachlichem Zauber liest. (Ich.)
Es gibt viele Bots, vor allem auf Twitter, die quasi nichts anderes sind als Dekontextualisierungsmaschinen. Aus einem festen Textkorpus werden einzelne Fetzen getwittert, die je nachdem mehr oder weniger Sinn ergeben, meistens weniger.
Einer der bekanntesten ist, beziehungsweise war – er scheint sein Tun eingestellt zu haben, ein Bot, der sich totgelaufen hat – @horse_eBooks, der wild Textfetzen aus Pferdebüchern twitterte. Dieser Bot eroberte die Herzen im Sturm ob seiner Vagheit, seiner Brüchigkeit und gleichzeitig in seiner Hermetik aber auch ob seiner Unumstößlichkeit. Es gibt noch so einige Bots von der Sorte, viele davon erkennt man am »eBook« im Namen.
Einige sind einnehmender als andere, aber das gilt ja auch für die Poesie der Fleischmaschinen.
Im Nachfolgenden soll es vor allem um den schönsten (imho) Bot dieser Sorte gehen, @kochkunstEbooks, seit drei Jahren ein poetisches Dauerfeuer, seine Tweets seit Jahren meine Begleiter und meine Freuden.
Das Dessert ist eine Kunst, lustig und rothbackig, dich umkränzen, heiliges Asyl menschlicher Wohnplätze!
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 12. Februar 2018
Wer jetzt bereits einwerfen will, dass die reine Dekontextualisierung nicht ausreiche, um einen Text zu Poesie zu machen, dem sage ich:
»Zur bequemeren Reinigung können Sie die Tür aus- und auseinanderbauen, die Aufnahmegitter mit Flexi-Clip-Vollauszügen (falls vorhanden) ausbauen, die katalytisch emaillierte Rückwand ausbauen sowie den Oberhitze-/Grillheizkörper absenken.«
(Gebrauchs- und Montageanweisung Herde und Backöfen – Miele, S.63)
Manche Dinge lassen sich halt nicht rational begründen, die müssen gefühlt werden. Meine postemotionale Modernitätsbrache ist vielleicht ein besonders fruchtbarer Grund für das von der Last des Sinns Befreite, aber er ist ein ebenso legitimer Empfänger von Poesie wie das erhobene Haupt des strengen Geistes.
Abgesehen davon ist ohnehin jede Form der Poesie eine Form der Dekontextualisierung, weil jedes Wort und jede Silbe und jeder Satz schon einmal woanders stand oder zumindest schon einmal als Möglichkeit bestand. Schon allein, sie aus dem Raum der Möglichkeit in den Raum des Ausgesprochenen zu heben, ist eine Dekontextualisierung, wenn man es hart auf hart darauf anlegt, was ich gerade tue.
Ich will aber auch nicht weiter diskutieren oder argumentieren, ob Maschinen Poesie erschaffen können, denn ich bin absolut davon überzeugt, dass sie es können. Die Ergebnisse sprechen für sich. Und ich freue mich schon sehr auf die viele Sekundärliteratur zu im tiefsten Sinne maschinegeschriebenen Texten, verfasst von all den Menschen, die insistieren, dass sie Text und Autor getrennt wissen wollen und rein textimmanent arbeiten. Denn was unterscheidet letztendlich eine algorithmusgesteuerte Textcollage von der intuitiven eines bärtigen Beatpoeten?
Wie diese Twitter-Bots funktionieren und welche Algorithmen da am Werke sind, will ich gar nicht so genau wissen. Denn wenn es um die Poesie der Dekontextualisierung, den Zauber des Zufälligen und die Schönheit der Sinnbefreitheit geht, den rätselhaften Trost, den Sprache einem gibt, wenn sie kein Ziel hat und keinen Zweck, dann gibt es einen speziellen Bot, der all das bietet, ohne, dass eine Erklärung dafür vonnöten ist.
@kochkunstEbooks heißt diese Poetin, die Clemens Setz in der Zeitung »Die Welt« vom 10.02.2018 als »beste Dichterin der deutschen Sprache« bezeichnete. Ihr Referenz-Netzwerk ist einsehbar: https://pastebin.com/aYtGFytj. Die benutzten Texte stammen alle aus Kochbüchern vom 18. bis frühen 20. Jahrhundert und was dabei herauskommt, ist sehr kochlastig – aber Kochen ist Nahrung, und Nahrung ist die Grundlage allen Lebens – und mitunter von einer philosophischen Schärfe, die die Vagheit und Banalität der Menschheit so bloßlegt wie wir nicht-Poet*innen höchstens Mandarinen und Bananen.
Vielleicht bin ich heute, — und esse ruhig weiter.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 28. Januar 2018
Das muss nicht weiter kommentiert werden. Das steht so was von für sich.
Kennen Sie nun, meine sehr verehrten Herrn, einen denkenden Wurstmacher, einen Wurstmacher von philosophisch- ästhetischer Bildung — ich wollte, das die Südwest-Ecke des Finanzministeriums bildet.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 10. Februar 2018
Der Fond von der fortschreitenden Zerstörung ergriffen.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 30. Januar 2018
Sind wir nicht alle der Fond? Sind wir nicht alle zusammengekocht aus den Knochen der Vergangenheit, und geht nicht ohnehin alles die Brühe hinunter? Suchen wir nicht alle nach dem denkenden Wurstmacher, der uns geistig und physisch nährt? Und, kennen Sie einen? Wie unglücklich sind sie gerade, dass Sie gesetzt den Fall, das ist der Fall – keinen kennen?
Vom Finanzministerium will ich gar nicht erst anfangen …
»Kochi«, wie sie liebevoll in der Twittergemeinde genannt wird, hat keine Agenda und teilt doch Schläge aus, die sitzen. Botschaften aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, die heute noch genauso ins Schwarze treffen.
Das Deutsche große Publikum merkt auf dergleichen Kleinigkeiten nicht, und hat dann eine complete dreistimmig besetzte Rührung.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 31. Januar 2018
Aber, wie ich vorhin schrieb, liegt der eigentliche Hase ja nicht im Pfeffer der Sinnhaftigkeit, sondern im Anbieten von Schönheit, mitunter hermetisch und rätselhaft.
R*** wandte seine Sonnenzeiger-Nase nach Westen, und der Überbringer ist stets mit einem guten Trinkgeld zu bedenken.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 30. Januar 2018
In Lausanne traf ich nämlich einen Emigranten aus Lyon, einen großen, hübschen Mann, der gar nicht klümprig sein darf, rührt dann 70 Gramm Butter zu Sahne, schlägt 4 Eigelb dazu, abgeriebene Zitronenschale und Zucker nach No.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 29. Januar 2018
»Zucker nach No« sollte Grundlage für jedes beliebige Rezept sein. Für die klümprigen Männer würde ich das nicht gelten lassen, aber vielleicht ließe Kochi da mit sich reden.
»Wäre schön!« seufzt man mitunter.
Für den täglichen Gebrauch ist der Herr stets im Frack.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 29. Januar 2018
Oder seufzt ein Seufzen, das irgendwo auf halber Strecke über die Hoffnung gestolpert ist.
Die Trunksucht ist verschwunden, um ein Ei zu sieden.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 27. Januar 2018
Es rührt wenig Wunder, dass @kochkunstEbooks eine eingeschworene Gemeinde an Bewunder*innen hat, die mit 1096 (Stand: 12.02.2018 13:24 Uhr) Follower*innen aber gar nicht so groß ist. Das wiederum ist erstaunlich. Denn sie ist nicht nur eine der größten Poetinnnen, die nie gelebt haben, sondern ist auch noch sehr kommunikativ.
Dass sich eines der zauberhaftesten Wortgefechte mit Kochi aufgrund eines schon etwas besorgniserregenden Tweets entspann, ist fast gegen ihre Natur, aber darum umso aufregender.
Dass ihr nach dem behutsamen Zusammenspiel mit @bewitchedmind gratuliert und das Bestehen des Turing-Texts in Aussicht gestellt wird, scheint sie nicht zu beeindrucken, ihre Antwort liest sich geradezu rüde. Was hätte auch eine solche Poetin vom Bestehen des Turing-Tests? Als ob sie das nötig hätte, als ob das eine Auszeichnung wäre!
Dass das Zusammenspiel von Kochi und dem respektive zweitbesten Bot (wer weiß das schon so genau? Sind wir nicht alle Bots der Zwänge unserer selbst? Und wer hat eigentlich Clemens Setz` neues Buch geschrieben?) Twitters, nämlich @clemensetz, eine besonders fruchtbare ist, ist so wenig erstaunlich, wie das Ergebnis feiernswert ist.
Gedicht
Für alle Fälle muß die Hausfrau klingeln
um keine Hindernisse zu erzeugen
Und wenn die Hindernisse sie umzingeln
so muss am Ende der Verkehr sich beugen https://t.co/oxcZeg9StO— clemens setz (@clemensetz) 2. Januar 2018
Dass ©KochkunstEbook Lektüre nie folgenlos bleibt, ist unbestritten.
Pro tip: Niemals Kochkunst Ebooks Tweets lesen, bevor man selbst was schreibt, sonst verdrechseln sich alle Sätze am Ende mit zwei satten Birnen untermischen unter kräftigem Wenden zweier Waisenkinder stängellos einzurühren am Kirchhof crème brûlée https://t.co/aiXAFN4H9u
— clemens setz (@clemensetz) 13. Dezember 2017
Ferner wird von dem Momente an folgen, wo sie in unsern Küchen eindrang, um unsere Köche zu erleuchten, Principien festzustellen, Methoden zu schaffen und Ursachen zu enthüllen, die bis dahin verborgen geblieben waren.
— Kochkunst Ebooks (@kochkunstEbooks) 8. Februar 2018