Launige einleitende Anekdote
Im Jahre 2015 wohnte ich einer Veranstaltung mit Christoph Ransmayr im Berliner Ensemble bei, er hielt drei Reden, und jemand spielte Posaune mit Effektgeräten. Danach gab es die Gelegenheit, sich Bücher signieren zu lassen, was in den meisten Fällen eine kurze Unterhaltung mit sich zog. Als ich an der Reihe war, war das Gespräch schon bei Kronleuchtern. Wer jemals im Berliner Ensemble gewesen ist, kann sich gut vorstellen, warum. Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf kam (die Nervosität!), auf jeden Fall sagte ich zu ihm: »Sollte jemals der unglückliche Fall eintreten, dass ich erschossen werde, dann möchte ich, dass das unter einem Kronleuchter geschieht.«
Dass ich das zu Christoph Ransmayr gesagt habe, ist so peinlich, wie dieser Satz wahr ist.
Steile Thesen zum Status des Kronleuchters
Ein Kronleuchter ist ein Symbol der Grandiosität alter Zeiten, die so – zum Glück – vorbei sind und doch vermisst werden. Die Zeiten, in denen Gedichte noch in Reimen geschrieben wurden und Frauen ins Korsett geschnürt. Wahrscheinlich hat sich gar nicht so furchtbar viel geändert: Die Armen und die Reichen sind immer noch säuberlich getrennt, die Gedichte dürfen jetzt halt eben nicht gereimt sein und das Korsett besteht aus anderen Dingen als Stoff und Fischbein.
Was heute Wohlstand und Geschmack verheißt, braucht mitunter ein sehr geschultes Auge, um es zu erkennen. Sichtbeton ist ja nicht per se edel. Und der Versuch, die Grandiosität der alten Zeiten zu reproduzieren, endet meist im Desaster und wird verlacht. (Siehe Trump, aber der hat es verdient.)
Früher, als noch jedes einzelne glitzernde Teil der Kronleuchter von Hand in Form gebracht werden musste, als Glas noch aufwendig herzustellen war oder die Einzelteile gar aus Bergkristall bestanden, war ein Kronleuchter nicht einfach eine Lampe, sondern vornehmlich ein Repräsentationsobjekt, etwas, das Geld und hohen Stand verriet. Heutzutage ist ein Kronleuchter in der Wohnung einer Zeitgenössin ebenfalls mitnichten nur eine Lampe, sondern repräsentiert beispielsweise auch die Widerständigkeit der Bewohnerin gegen den geltenden guten Geschmack und Zeitgeist. Der Kronleuchter ist am ehesten als historisches Artefakt erlaubt oder als ironisches Zitat an hochkulturfernen Orten zu finden. (In Friseursalons beispielsweise oder Brautmodengeschäften, die in Rauschebergen aus Acetat-Spitze versinken.)
Der gute, alte, schöne, überkandidelte Kronleuchter ist an seinen naturgegebenen Orten, die alle aus der weiten Vergangenheit stammen, allerdings zumeist willkommen und erwünscht. Siehe das bereits genannte Berliner Ensemble oder das Kunsthistorische Museum in Wien. (Wobei Wien ja ohnehin zu großen Teilen stadtgewordener Kronleuchter zu sein scheint.) Der barocke Glanz des Üppigen in viele symmetrische, scharfkantige und doch florale Glasteilchen gepresst, lose eingehakt, mit schnödem Draht befestigt wie ein von der Decke baumelnder Stab der Zauberfee. Ein etwas dicker Zauberstab, aber die Verwandtschaft ist offensichtlich.
Zur Frage, was eigentlich ein Kronleuchter ist
Der Kronleuchter ist ein ewiges Objekt dazwischen. Denn obwohl er seit seinen Anfängen – im 5. oder 16. Jahrhundert, je nachdem wo und wie man ansetzt – mehr oder weniger ein reines Repräsentationsobjekt war und nur sehr selten wirklich als Lampe benutzt wurde (Kerzen waren teuer und der Aufwand, Kronleuchter damit zu bestücken und zu entzünden, war groß), wurde er wie ein Gebrauchsgegenstand behandelt, der nicht die Integrität eines Kunstwerkes besaß. Das bedeutet, dass die einzelnen Teile aus unterschiedlichen Werkstätten kamen, die Kronleuchter jeweils der neuesten Mode angepasst wurden und dass sie, waren sie zum Putzen einmal auseinandergenommen, nicht immer mit der Sorgfalt wieder zusammengesetzt wurden, die ihnen gebührt. Es gibt also praktisch kaum einen Kronleuchter, der in seiner ursprünglichen Form noch vorhanden wäre. Wobei »ursprünglich« auch das falsche Wort ist, gemeint ist eher seine erste Form. Schließlich gab es keinen Ursprung: Das Gestänge kam aus der einen Werkstatt, das Glas aus einer anderen, und vielleicht hat ein Händler beides nach Belieben kombiniert.
Ein anderes Beispiel: Der von Kaiser Friedrich Barbarossa 1165 für das Aachener Münster gestifteten Lichterkrone wurden im 18. Jahrhundert alle 48 figürlichen Reliefs herausgebrochen. Sie waren aus Silber und konnten zu Dingen, die eher dem geltenden guten Geschmack entsprachen, verarbeitet werden.
Im 17. Jahrhundert galt es, auf der Höhe ebendieses guten Geschmacks zu bleiben, koste es, was es wolle. Was der war, bestimmte damals der französische Hof. Erst kurz vor Mitte des 18. Jahrhunderts bildete sich der Behangleuchter im Rokokostil aus, der mit allen Elementen bis heute noch nachgebildet wird. Die im Wettrennen zur Höhe der Zeit überarbeiteten und veränderten Kronleuchter blieben meist undokumentiert. Eine lückenlose Dokumentation der Veränderungen und Arbeiten an Kronleuchtern gibt es nur vereinzelt ab Ende des 18. Jahrhunderts. Ein fundamentaler Bruch in der Entwicklung der Kronleuchter kam mit der Industriellen Revolution um 1810, da die Leuchter ab dann leichter herzustellen waren und sich auch in bürgerlichen Häusern fanden. »Das bedeutete gleichzeitig den Abstieg der Gattung vom fürstlichen Kunstobjekt zum Massenprodukt.«1
Und weil Dinge kaum wertgeschätzt werden, die zwar schön, aber nicht selten sind, steht der Kronleuchter seinen Zweck zum Trotze eher im Halbschatten der Anerkennung.
Jeder Kronleuchter durchlief in den Jahrhunderten seiner Existenz eine Metamorphose, die wir uns heute, wenn wir auf die scheinbar perfekt geplanten, wohlgerundeten und kombinierten Objekte schauen, als die sich antike Kronleuchter dem modernen Augen präsentieren, kaum vorstellen können.
Man sieht sie als Gesamtkunstwerk, als eine Einheit, die zumindest in unseren Köpfen nie anders aussah. Damit ist der Kronleuchter einem Text gar nicht so unähnlich. Halten wir ein gedrucktes Buch in den Händen, können wir uns auch kaum vorstellen, dass bis zuletzt daran gearbeitet wurde, Textteile hin- und hergeschoben, umgestellt, gekürzt und ergänzt wurden. Und doch könnten und wollten die meisten Schriftsteller*innen das wohl bis in alle Unendlichkeit fortführen, stünde nicht die Notwendigkeit des Drucken-Müssens an irgendeiner Stelle der Arbeit am Text. (Da bekomme ich jetzt Phantasien für ein sich in ewiger Metamorphose befindendes E-Book, das einfach permanent weiter- und umgeschrieben wird. Aber wie Michael Ende in der Unendlichen Geschichte immer so schön sagt: Das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.)
Und so wie wir auf ein Buch als die endgültige Form eines Textes sehen, sehen wir auf einen Kronleuchter als ein die Zeiten überdauerndes Objekt. Symmetrisch blinkende Pendeloquen formieren sich zu einem glitzernden Vertreter des völlig Zeitlosen oder Unzeitgemäßen, gar Ewigen. Diese Ewigkeit dauerte in früheren Jahrhunderten eben genau so lange, bis etwas kaputtging oder es etwas Moderneres und Schickeres gab.
Die Geschichte, die ein Kronleuchter erzählt, ist in jedem Fall eine Gemeinschaftsarbeit verschiedenster Autor*innen, die meisten davon anonym, verstreut über Raum und Zeit. Sie erzählen jedoch alle die gleiche Geschichte, die vom Wunsch nach Pracht und Glitzer, in unterschiedlichen Sprachen, adaptiert an oder gegen den herrschenden Zeitgeist.
Das Konzept »Kronleuchter« ist also vornehmlich Idee und weniger Sache, denn wie schon erwähnt, war »Dinge beleuchten« nicht der Hauptgrund für das Erschaffen von Kronleuchtern. Der Kronleuchter an sich ist jedoch als zu erforschendes Objekt fast ganz Material, da er alles ist, was bleibt. Die vielen unterschiedlichen Ideen, die im Laufe der Zeit zusammengenommen seine jetzige Form und Aura gebildet haben, verrauschen in der Geschichte und lassen sich nur über sehr aufwendige Forschung an seinem banalen Material rudimentär rekonstruieren.
Die Informationen dazu, wer, wann, was und warum an einem Kronleuchter geändert hat, sind verwachsen mit einem Sammelsurium an unterschiedlich datierten Bestandteilen unterschiedlichster Herkunft zu einem nahezu undurchdringlichen Filz der Geschichte. Was übrigens auch der Grund ist, warum es so wenig Literatur zu Kronleuchtern gibt. (Ich möchte an dieser Stelle jedoch Käthe Klappenbach für ihr Buch Kronleuchter mit Behang aus Bergkristall und Glas sowie Glasarmkronleuchter bis 1810 von Herzen danken, von dem ich fast alles für diesen Text gelernt habe.)
»Die Kunstgeschichte hat sich gescheut, von akademischen Höhen in das Materialchaos dieses Nebenfeldes des Kunsthandwerks niederzusteigen.«2 – Vielleicht ist es diese Kombination aus einer Aura von Banalität und Kitsch bei gleichzeitiger Offensichtlichkeit ihres Zweckes und ihrer Bedeutung, die Kronleuchter zu den Verlierern der Kunstgeschichte machte.
25 000 Tampons für ein Kroneluja
Wie das immer so ist mit Gegenständen, deren Weltlichkeit überlagert wird von ihrer Bedeutungsschwere und die mehr oder weniger allein reine Schönheit darstellen (eher mehr, sie sind wie Diamanten mit Einschlüssen, das andere Ende der Vergleichsskala wäre Marmorkuchen), sie wirken besonders stark, wenn sie kombiniert werden mit Gegenständen der reinen Weltlichkeit, der Menschlichkeit.
2005 wurde auf der Biennale in Venedig ein Werk der portugiesischen Künstlerin Joana Vasconcelos ausgestellt. Es heißt A noiva (Die Braut) und ist ein fünf Meter großer »Kronleuchter«, ein glitzernder Koloss, wie geschaffen, um im Schlafzimmer von Marie Antoinette zu hängen. Das war das Schicksal, das seine Erschafferin ihm zugedacht hatte, und das obwohl A noiva nicht aus Glas, Bergkristall oder Ähnlichem besteht, sondern aus 25 000 Tampons.
Es ist ein beeindruckendes Werk, und von weitem sieht man ihm auch nicht an, woraus es besteht. Die Plastikfolien der einzelnen Tampons stehen dem Glanze von Glas in fast nichts nach. (Anschauen kann man es hier.)
Am Ende durfte Vasconcelos es bei ihrer Ausstellung in Versailles nicht aufhängen, es sei »zu sexuell«. Das ist insofern so typisch wie haltlos, als ein Tampon an sich nichts Sexuelles darstellt, sondern vor allem mit dem weiblichen Körper assoziiert wird. (Dass nicht nur Frauen eine Periode haben, ist Menschen, die von Tampons schockiert sind, vermutlich noch schwerer zu vermitteln.) Der Vorwurf ist also nur gültig, wenn man den weiblichen Körper an sich als sexuelles Objekt sieht.
Was sie geschaffen hat, ist, ein Objekt, das als reine Überhöhung des menschlichen Daseins über unseren Köpfen schwebt, zu verknüpfen mit einem der vielleicht banalsten Objekte, das unser Alltag zu bieten hat, aber trotzdem verbunden ist mit dem fundamentalsten Prozess des Lebens.
Das ist nun nicht unbedingt subtil, aber ziemlich clever. Auch weil es so hübsch aussieht.
Zum Abschluss
Der Kronleuchter wird wohl immer eines der schönsten Symbole für das ganz große Drama bleiben. Nichts stürzt so malerisch von der Decke, nichts taucht frisch verspritztes Blut in erhabeneres Licht, und an nichts baumelt sich im volltrunkenen Zustand schwungvoller.
I’m gonna swing from the chandelier, from the chandelier
I’m gonna live like tomorrow doesn’t exist
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
1 Käthe Klappenbach: Kronleuchter mit Behang aus Bergkristall und Glas sowie Glasarmkronleuchter bis 1810, Berlin 2001, S. 2 Zurück zur Textstelle
2 Hans Ottomeyer: Vergoldete Bronzen, München 1986, nach Käthe Klappenbach Zurück zur Textstelle