Blauschmuck ist von erschütterndem Inhalt und einer bestechend poetischen und konsequenten Sprache. Nie scheint es eine schwierigere Zeit gegeben zu haben, um über einen Roman zu reden, der von einer jungen Kurdin erzählt, die viele Jahre häusliche Gewalt von unfassbarem Ausmaß erleben musste. Umso wichtiger scheint es, sich mit der Geschichte und Intention des Romans zu beschäftigen und dazu die Autorin Katharina Winkler zu befragen.
Liebe Katharina, wovon handelt Blauschmuck, und was steckt hinter der knappen vorausgestellten Bemerkung »Nach einer wahren Lebensgeschichte«?
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Die Geschichte ist da. Das Schrebergartenhäuschen verschlossen. Was passiert dann eigentlich? Wie wird aus Tonbandaufnahmen ein literarischer Text? Wie schafft man es, kein Protokoll daraus zu machen? Die Frage danach, wie eine Geschichte aus der Düsterkeit dieses Lebens in das Licht der Literatur getragen wird – dieses Pathos sei mir erlaubt –, trieb mich um. Wie geht das bei der tatsächlichen Textbearbeitung und -umarbeitung vor sich, wenn aus Grauen Kunst wird? Eine Kunst, die das ursprüngliche Grauen nicht verdeckt, verkitscht oder verharmlost und einem auch keinen Ausweg in den »Nachrichten-Modus« bietet, denn für die Leserin sind Resignation und Zynismus keine Option.
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»Das Kind in meinem Bauch ist mir fremd, eine Bedrohung. Es tritt mich nur und ernährt sich von mir. Es schweigt von innen wie sein Vater von außen. Ich decke mich mit Worten zu. Alles wird gut. Alles wird gut. Auch wenn ich mir nicht glaube. Alles wird gut.«
Wie fühlt sich das an, sich so sehr in eine Person und ihr Leben zu vertiefen, wo gibt es Grenzen, gab es Hemmungen, und in welchem Verhältnis stehen die Schriftstellerin zur Protagonistin – die Erzählende und die Erzählte – zueinander? Ein fremdes Leben aus der Ich-Perspektive zu erzählen ist ein Wagnis. Oder? Wie driftet der Text zwischen den Akteurinnen? Ein Buch, das so radikal aus einer real existierenden Figur heraus erzählt, kann durchaus verwirren. Umso schöner zu wissen, mit welcher Eindeutigkeit Katharina Winkler ihr Verhältnis zu dieser Lebensgeschichte sieht.
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»Die Ehre steht über allem, sagt Vater.
Der Ehre entsteigt die Sonne.
Die Ehre lässt uns ruhig schlafen.
Wir atmen sie. Ein und aus.
Nachts und während des Tages.
Die Ehre muss auf unseren Feldern gedeihen.
Wir essen sie, und die Frauen säugen ihre Kinder damit.
Die Ehre ist meinem Vater das Wichtigste.
Wichtiger als wir Kinder. Oder Mutter.
Die Ehre steht über allem, sagt Vater.
Die Ehre wächst mir über den Kopf.«
Wenn man von innen heraus erzählen will, ist klar, wie man vorgeht: man versucht, so weit wie möglich in das Innere der Protagonistin zu tauchen. Wie geht man als Autorin mit all dem um, was dieses Innere umgibt? Den anderen Personen, dem Ort, dem Land, der Geschichte? Schafft man für sich einen Kontext, betreibt weitere Recherchen? Blauschmuck erzählt ein Einzelschicksal so pointiert, dass der Eindruck einer universalen Erfahrung entsteht, einer Eingeschlossenheit in eine Protagonistin, deren Parameter zu fest stehen und zu bekannt, zu durchdringend sind in ihrer Welt, als dass sie sie reflektieren und in Frage stellen könnte.
Und in den Momenten, in denen ich fassungslos bin darüber, staune und lamentiere über das mir vollkommen unsinnige Konzept der Ehre, werden mir doch einige Dinge über mein Denken klar und dass mir vielleicht mehr Denkweisen bekannt sind, als mir lieb sind.Und was passiert eigentlich, wenn dieses Verständnis Grenzen überschreitet, die man eigentlich für unüberschreitbar hielt? Außerdem Thema: die Geschwindigkeit des Intellekts und die Weisheit des Tauchers.
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»Ich habe japanische Kirschblüten gesehen und habe mich zu ihnen hinter das Glas geschoben.«
Wenn man so lange mit einer Geschichte lebte, sie einen begleitete, und wenn man dann einen Roman geschrieben hat, der einen Anfang und ein Ende haben muss, kann man ihn so einfach ziehen lassen? Wie funktioniert die Loslösung von einem so innigen Text? Funktioniert sie überhaupt?
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»Gott ist groß! Gott ist größer als alles und mit nichts vergleichbar! Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott! Endlich gottlos sein.«
Wenn der Roman sich immer weiter entwickelt, könnte er sich auch in eine ganz andere Richtung entwickeln? Könnte aus anderen Perspektiven erzählt werden? Welche Schwierigkeiten würden sich auftun, und warum ist die Frage nach der Schuld keine davon? Ich hatte nach dem Lesen das dringende Bedürfnis, die Geschichte in unterschiedlichen Erzählperspektiven durchzuspielen, um zu verstehen zu versuchen, um nach Gründen zu suchen, warum diese Dinge so geschehen, warum sie so akzeptiert werden und vielleicht auch, um mich der bitteren Identifikationen mit der geschlagenen Frau zu entziehen.
Katharina Winkler geht der Frage nach, wer sich Moral leisten kann, beantwortet die Gretchenfrage und erklärt, warum sie nie ein Sachbuch schreiben würde.
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Ist dieses Buch eine Querflöte, mit dem sich ein Nagel in die falsche Wand hämmern ließe?
In Zeiten, in denen wir festzuklemmen scheinen zwischen einem stetig wachsenden Rassismus, andauerndem Sexismus und einer immer höher schwappenden Wellen an Diskussionen darum, scheinen viele sich schwer zu tun, den Inhalt des Buches zu verhandeln. Zu groß ist die Angst, sich aus Versehen in der Arena der Köln-Debatte falsch zu positionieren.
Wie fühlt sich das an, wenn der eigene Roman auf so glitschiges Eis geschickt wird? Was kann man für ein und von einem Buch erhoffen und wünschen?
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