Lässige Modernität ‚ wobei schon das Wort »modern« verstaubter klingt als das, was damit bezeichnet werden soll, und scharfkantige Emotionalität fernab jeglicher Gefühligkeit. Das Jetzt in gleißendes Licht stellen und es damit ins zeitlos Surreale rücken. Das Verwenden neuer Technologien in der jeweils eigenen Kunst (3D-Drucker, um Bekleidungsstücke herzustellen, Chat-Protokolle als Literatur) als verbindendes Element zu benennen, klingt erst mal nach einer etwas armseligen Verbindung. Doch zum einen ist die Einbindung dieser Techniken in das große Ganze der eigenen Arbeit, ohne, dass sie reiner Selbstzweck sind, nicht einfach und bisher selten – wie man an der Gegenwartsliteratur und den großen Couture-Häusern sieht –, zum andern ist es nicht die einzige Verknüpfung. Ex negativo gesagt: keine Rüschen, kein Geschwurbel, der Bequemlichkeit wird sich nicht gebeugt. Die Ergebnisse sind eigenwillige Strukturen, sie erzählen von Essentiellem, von Formen und Formaten und Denkweisen, die noch nie und immer schon da waren, aber nicht mit Nostalgie und dem Kontext der Vergangenheit gepudert wurden. Das Abstrakte wird konkret, Detail wird Kontur. Und am Ende stehen wir in kalten Flammen.
»Ein Vater hat zwei Kinder. Mindestens eines davon ist ein Sohn. Wie wahrscheinlich ist es, dass das zweite Kind auch ein Sohn ist? Die überraschende Antwort lautet: 1:3. Nicht 1:2. Und nehmen wir an, der Vater hätte zwei Kinder, von denen mindestens eines ein Sohn ist – und der Vater brüllt im Nebenzimmer, worauf ein kleiner Junge im Türrahmen erscheint und sagt: Okay, ich bin dein Sohn, und es ist alles in Ordnung mit mir – wie wahrscheinlich ist es dann, dass auch das zweite Kind ein Sohn ist?« (Indigo, S.153)
»Jede Nacht hatte ich Albträume: lange, unfreundliche Korridore, in denen man mit verschiedenen Graden der Unbeweglichkeit kämpfen musste; verschlossene Türen mit fremdsprachigen Aufschriften; meine Mutter, die mich nicht mehr wiedererkennt und meinen Bruder bittet, mir zu zeigen, wo der Ausgang ist; Verfolgungsjagden durch unseren Keller, in dem Atommüll lagert;
ein sterbendes Tier, das sich in einen der schwarzen Regenschirme geflüchtet hat und daraus nicht mehr zu vertreiben ist; rötliches Eis, das beim Schlittschuhlaufen bricht; Clownsschminke, die man nicht mehr ab bekommt. Und in beinahe jedem Traum begegnete ich einer blauen Flamme wieder, die plötzlich irgendwo hochzüngelte, aus meiner Armbanduhr, aus einem Stück Brot, aus einem Brückengeländer, das sich in diesem Moment auflöste und mich in den Fluss stürzen ließ, aus Geldbörsen, Eistüten, Legosteinen, fremden Augen. Ich hasste die blaue Flamme, ihre Farbe war das Entsetzlichste an ihr, dieser Ton von Blau, den ich tagsüber nirgends erblicken konnte. Er ließ sich auch nicht mit Buntstiften auf Papier malen, die verfügbaren Schattierungen aus der Pelikan-Zeichenbox reichten dafür nicht aus. Ich versuchte, der Flamme einen Namen zu geben, damit sie mich endlich nicht mehr heimsuchte, aber es half nichts.« (Die Liebe in Zeiten des Mahlstädter Kindes, S.10f.)
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.