Niemand muss erstaunt tun. Ich bin nicht verblüfft, wenn etwa die polnische Regierung ein Gesetz erlässt, das die Mordslüge zur Pflicht und die Wahrheit zum Unrecht erklärt. Eingeschränkt werden das Recht auf Meinung und die Freiheit auf Wissenschaft. Von der polnischen Mitschuld an der Ermordung der Juden darf nicht mehr die Rede sein. Kurzum: Die polnische Staatsführung, die Flüchtlinge unmenschlich behandelt, bringt auch gegenüber den jüdischen Opfern des Naziregimes kein Feingefühl auf.
Mich erstaunt auch nicht, dass in österreichischen Burschenschaften der Judenmord besungen wird. Die bürgerlichen Regierungspartner geben vor, aus allen Wolken zu fallen, wenn sie hören, wie jene Schmissbacken, mit denen sie nun in einer Koalition sitzen, von einer siebenten Million, die es noch zu schaffen gelte, grölen. Dabei müssten alle in Österreich wissen, wer jene rechten Recken sind. Die österreichischen Burschenschaften hatten noch vor wenigen Jahren abgelehnt, den Arierparagraphen aufzuheben. Am Tag des Sieges über Hitler marschieren sie immer wieder in Wichs, mit Käppchen, dem Deckel, und mit Säbel auf, um die Niederlage des Nazireichs zu betrauern. Stets mit dabei sind freiheitliche Mandatare, die dort Reden der Geschichtsleugnung schwingen. Auf der Bude von Jörg Haiders Burschenschaft trug einst die Übungspuppe für Fechtübungen, das sogenannte Paukermandl, eine Binde, auf der »Simon Wiesenthal, der Jude« stand. Das spornte den Kampfesgeist jener Burschen an, die nun die Republik unterwandern.
Ich bin nicht verwundert über die unzähligen Skandale, die das Alpenland erschüttern. Ich frage mich bloß, wieso diejenigen, die eine Koalition mit den Rechtsextremen begrüßten, jetzt überrascht tun.
Die Freiheitlichen sind radikaler denn je. Sie werden von den Burschenschaftlern dominiert. Sie sind die Nachfolger der Vorläufer der Nazis. Sie sind nicht bloß die Überbleibsel einer überholten Ideologie, die einst schon diesen Kontinent in den Abgrund riss, sondern die Avantgarde jener Kräfte, die in den verschiedenen Ländern der Union vom Untergang des vereinten Europa träumen.
Die Wiener Regierung will jenen Südtirolern, deren Muttersprache Deutsch oder Ladinisch ist, eine Doppelstaatsbürgerschaft zubilligen, doch die italienischen Nachbarn davon ausschließen. Das Autonomiepaket, das jahrzehntelang für Frieden sorgte, wird infrage gestellt. Der Obmann der Freiheitlichen, der nun auch der Vizekanzler Österreichs ist, nimmt einen Orden der Republika Srpska an, den ihm der separatistische Präsident verleiht. Das ist Revisionismus, der neuen Hass schürt. Das gemeinsame Europa, das in Abkehr von Mord und Krieg gegründet wurde, soll unterminiert werden.
Diese Schritte sind viel schlimmer noch als irgendwelche Hohngesänge über den Massenmord. Aber der Grundfehler sind nicht einzelne Maßnahmen, sondern die Koketterie mit dem rechtspopulistischen Rassismus und die Koalition mit den Rechtsextremisten.
Ohne Zweifel werden weitere Skandale folgen. Was mich verblüfft, ist, wie überrascht jene tun, die vor Kurzem noch gar nicht verstehen wollten, wieso manche wegen dieses Regierungsbündnisses besorgt waren. Demokratie ist nie abgesichert, doch was einen beklemmt, ist, wie schnell das, was gestern noch aufregte, heute schon zum Regelfall wird.