Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher?
Die Bücher werden in verschiedene Kategorien unterteilt. Zunächst unterscheide ich zwischen Literatur und mehreren Wissenschaftszweigen. Eigene Plätze sehe ich für Kunstbände, Enzyklopädien und Wörterbücher vor. Die großen Nachschlagewerke sind weiter unten besser aufgehoben, damit mir die ganze Bibliothek nicht noch auf den Kopf fällt. Innerhalb der einzelnen Bereiche bemühe ich mich um alphabetische Ordnung. Neuere Erwerbungen werden erst in ein eigenes Regal gestellt, damit ich sie bald lese. Fromme Wünsche … Die Belletristik ist großteils im Wohnzimmer untergebracht. Auch die Hebraica stehen dort. Die historischen Studien sind eher im Arbeitszimmer. Das eigentliche Problem: Die Bibliothek breitet sich an einer Stelle aus, während sie anderswo verkümmert, und diese Entwicklung hält sich an kein System. So verdrängt ein Teil allmählich einen anderen.
Welches Buch lesen Sie gerade?
Zadie Smith London NW.
Wie weit reicht Ihre Sammlung zurück?
Die Frage ist doppeldeutig. Geht es um die frühesten Bücher meines Lebens oder um alte antiquarische Werke? Da sind noch teils Bücher aus meiner Kindheit, die nun in die Bibliothek meiner Tochter eingemeindet wurden. Märchen und Sagen. Auch alte Tierlexika. Ein wichtiges Buch der frühen Zeit ist Ein Kinderbuch von Bertolt Brecht. Es stand in der Bibliothek meiner Eltern, und ich las es, weil ich glaubte, es sei für mich bestimmt. Es machte mich sehr früh zum Brechtianer, und ich war noch in der Volksschule, als ich begann, Brechts Stücke zu verschlingen, ohne sie zu verstehen. Mich faszinierte der Brechtsche Ton. Die Bücher der Eltern waren ein Allerheiligstes. Ihr Schrank war ein Schrein. Die eigenen Kindergeschichten konnten nicht so aufregend, nicht so rätselhaft sein wie jene Bände, die dem Vater und der Mutter gehörten. Viele der Romane und Enzyklopädien waren nicht auf Deutsch. Ich versuchte vergeblich, die Titel in hebräischer oder slawischer Schrift zu entziffern. Vor kurzem verließen meine Eltern ihre Wohnung. Der Umzug im Alter … Sie mussten ihre Bibliothek aufgeben, und ich durfte mir daraus nehmen, was ich wollte. Nun stehen einige ihrer Bücher, die ich aus der Kindheit kenne, bei mir. – Dann sind da noch die antiquarischen Ausgaben. Wenige, aber immerhin. Eine frühe Ausgabe von Döblins Berlin Alexanderplatz. Die Erinnerungen des Alfred Dreyfuss aus dem Jahre 1901. Die zwei dicken Werke des Rabbiners Benjamin Murmelstein, des letzten Judenältesten von Theresienstadt, die er im Wien des Jahres 1938 noch veröffentlichte; mit einer handschriftlichen Widmung aus dem Jahr 1941. Seit kurzem auch die Erstausgabe des Erzählbandes von Jakob Wassermann: Der Geist des Pilgers; 1923 im Rikola Verlag erschienen. Mit einem Exlibris von Rudolf Rosenbaum, dem Urgroßvater meiner Liebsten.
Welche Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen?
Das ist kaum zu beantworten, da sich das immer wieder ändert. Einst waren es die Textbücher der Dramen von Bert Brecht. Dann die Gedichte von Paul Celan und immer wieder jene von Heinrich Heine. Danach Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin und der Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész. Später die Geschichten von Walter Serner, die Erzählungen von Julio Cortázar und die Kurzgeschichten von Harold Brodkey. Auf jeden Fall auch der Roman Pnin von Nabokov, Der Tod des Vergil von Hermann Broch, Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum von Albert Drach oder der Roman Fasching des Schriftstellers Gerhard Fritsch. Wenn es um Bücher geht, bin ich polygam. Ein flatterhafter Kerl, der nicht an einer Lektüre festhält, sondern jederzeit bereit ist, sich von einer neuen begeistern zu lassen. Diesen Sommer war es Sand von Wolfgang Herrndorf.
Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Viele Bücher verändern unser Leben. Wir müssen sie nicht einmal gelesen haben. Sie prägen unser Dasein schon, ehe wir noch auf der Welt sind. – Ein Buch, das ich las und das mein Leben veränderte, war der Roman Gebürtig von Robert Schindel. Aber ist es eitel, wenn ich hier feststelle, was doch offensichtlich ist? Die Bücher, die ich selber schrieb, veränderten zweifellos mein Leben. Nicht nur, weil ich sie schrieb, sondern weil ich mich ihnen verschrieb. Weil sie mich schrieben.
Welches Buch haben Sie zuletzt verschenkt?
Meiner Tochter ging auf Kreta die Urlaubslektüre aus. Sie ist eine Leseratte. Ich ging in den nächsten Kiosk und fand dort für sie eine Sammlung der alten griechischen Sagen in deutscher Sprache.
Wer soll Ihre Bücher einmal bekommen?
Das kläre ich nur mit den Menschen, die sie einmal bekommen.
Wie sieht/sähe Ihre ideale Bibliothek aus?
In Wien wie die Nationalbibliothek. In New York wie die Public Library. In Oberlin wie das Mudd. Alle diese Bibliotheken bergen mehr Bücher, als ich je lesen könnte, verfügen über wunderbare Lesesäle, aber keine von ihnen nimmt Platz in meiner Wohnung ein oder muss von mir abgestaubt werden.