Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Die Lampe aus Röntgental.
Der sächsische Flaschenteufel als Erinnerung an Claus-Lutz Gaedicke, den Bildhauer, den Mann meiner Großtante Gunda; sie hatten zusammen in Röntgental gelebt, in dem Haus, in dem mein Vater aufwuchs. Er hatte einen seltsamen, sächsischen Humor, war kein Mann der Worte, hatte etwas irgendwie Eifriges, wie ein neugieriger Junge manchmal (wie er mich einmal in den 80ern in West-Berlin besucht hatte), in vielen praktischen Dingen ungeschickt. Wie manche DDR-Schriftsteller schien er nach 89 ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Komisch, dass das Internet immer noch nicht weiß, dass er seit drei Jahren tot ist.
Das wertlose Geld, das Opa Kuhlbrodt gesammelt hatte. Der erste April ist der zehnte Todestag von Harald Juhnke; ich hatte tatsächlich noch diesen alten Ordner mit den ganzen Juhnke-Meldungen; so widerlich, wie BILD und B.Z. den Entertainer gejagt hatten.
Im gleichen Ordner, aus der gleichen Zeit, zehn Seiten Vokalsucht von Youdid. Erst Wörter, in denen jeder Vokal einmal vorkommt; dann die einzelnen Vokale, dann ue, ae, au, und ei. Eigentlich ist es ein kleiner Gedichtband.
Wir hatten uns morgens im Pfefferberg bei einer Hirschbar-Party kennen gelernt. Ich hatte dann zwei Seiten in der taz über Ecstasy geschrieben. Und im Winter saßen wir oft die Nächte zusammen und spielten Scrabble, Backgammon und mit Buchstaben, Worten und Sätzen. A ist ganz einfach, das weiss ja jeder, »Hasch macht strafbar, dann Haftanstalt«.
Manchmal entstanden kleine Geschichten.
»Leberwerte erschrecken verelendete Penner.
Deren benebelte Reflexe gehen Verkehrsvergehen entgegen.
Mercedes Benz zerlegt!
Deswegen testet der Seelenklempner jene Menschen.
Mensch bewegt Skelett schwer.
Den Gelenken fehlen Sehnen.
Zellen ergeben schlechtes Gewebe.
Zellen beherbergen Krebserreger.
Verletzte Erbgene verdrehen den Zellkern.
Fermente regeln Zellleben erschwert.«
»Werbetext?
Der Menschen letztes Erbe der letzten Welt: Leere.
Den selben Effekt schenkt der gelbe, erhellende Fleckenentferner.«
»Ministrip mit Bikinislip ist in.
Dit find‘ ich richtig schick.«
»Sinn ist primitiv, stilistisch kitschig. Ihr wird schwindlig.«
»Ottos Korkstrohkopf kocht monochrom rot vor Zorn.
Otto tobt doch bloß.«
»Molotow flog los.
Von wo flog Molotow los?
Von Hong-Kong?
Von Colombo?
Von Stockholm?
Von London?
Vom Nordpol?
Molotow flog vom Kosmodrom los.«
(alle Zitate von Youdid Kahveci)
Später machte Youdid ihr Abi nach und ging zur dffb. Ihre kleine Kafkaverfilmung Die Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, bei der sie die Hauptrolle spielte und ich auch kurz mal im Jackett durch’s Bild laufe – das Bild davon finde ich grad nicht –, lief in diesem Jahr auf der Berlinale.
Mit M. in der Straße der Pariser Kommune.
»Letzten Endes den Rest des Lebens wegen Fehlerlesen weggetreten.«