Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Was man im Internet und wie man in echt redet
Manchmal versuche ich in realen Situationen, auf einer Party, in einer Kneipe, Themen anzubringen, die gerade heiß auf Facebook diskutiert werden; zum Beispiel Castorf, Peymann, Tim Renner, der Artikel von Ijoma Mangold über facebook und die Antwort von Ulrich Greiner und wie dann alle über Ulrich Greiner herfielen und höhnisch zitierten: »Der wahrhaft Weise, so glaube ich, wäre meinungslos«, als sei solch ein Satz unbestritten grenzdebil. Oder ich bringe Themen an, über die ich selber in irgendwelchen Texten schon geschrieben hatte, wie zum Beispiel das mit den kleinen Tütchen mit Marihuanablattaufdruck, die ich seit ein paar Jahren ständig auf der Straße finde, und die überaus interessante Frage, ob der Aufdruck für die Tütchen oder den Inhalt wirbt. Und das interessierte die Freunde im echten Leben nicht wirklich und mich vielleicht auch nicht mehr so wie an diesem Abend, als ich mich eher aus Langeweile an dieser Diskussion auf Facebook beteiligt hatte.
Ich bin dafür, also dagegen, und gehe gern mit, eher am Rande, auch weil ich Lust habe, spazieren zu gehen, mit B., der kaum noch kifft, aber früher auch ziemlich Hippie war.
Unterschiedliche Positionen werden vertreten. Ich fühle mich auf der Demo ganz heimisch, da ich einige der Aktivisten schon lange kenne und viele Jahre immer gern über die Aktivitäten lesender Drogenfreunde berichtet hatte.
Ich war sehr geprägt von Die Reise, dem berühmten 68er-Drogenroman von Bernward Vesper. Und es hatte sich dann so ergeben, via Techno in den 90ern, dass ich in diesem Gebiet Fachkompetenz herausgebildet hatte. Dann aber vergessen hatte, etwas Größeres in dem Umfeld zu veröffentlichen. Und dann hatte ich die Lust verloren und mich wieder anderen Themen zugewandt.
Eine Weile gehe ich neben M. Vor zwanzig Jahren hatte sie mal ein Cannabis-Kochbuch geschrieben, dessen englische (oder tschechische?) Übersetzung auf der Hanfmesse in Prag vor paar Jahren vorgestellt worden war. Wir hatten uns (glaube ich) vor zwanzig Jahren bei dem Schriftsteller Norman Ohler kennengelernt und immer dann wieder am Rande der Hanfparade und zuletzt bei der Einweihung einer Gedenktafel für Rio Reiser vor paar Jahren getroffen.
Sie ist jedenfalls sehr engagiert, aber auch nicht so krampfhaft, eine Generationskollegin, die sich in der Geschichte von Albert Hofmann und später den Haschrebellen bis heute heimisch fühlt, wie sich andere heimisch fühlen in in anderen Geschichten. Traditionen geben Halt, und das Gehen ist schwierig, weil wir Fahrräder dabei haben. Wir reden über die Legalisierungswerbeclips, die Georg Wurth, der Chef des deutschen Hanfverbandes, von der Million drehen ließ, die er bei einer Quizzsendung auf Pro7 gewonnen hatte. Ich mäkele an den Clips rum, sie kamen mir zu klischeehaft vor; M. findet sie sehr gelungen, besonders diesen, und schwärmt von der Clip-Premierenfeier im Kino International.
Es regnet ein bisschen, und als ich die Demo dann verlasse, um noch Fußball im Schmittz in der Torstraße zu gucken, fällt mir ein, dass ich eine sehr ähnliche Geschichte wie in ihrem Lieblingsclip tatsächlich auch selbst schon erlebt habe – auf dem Weg in’s Parkstadion, wo Schalke 04 dann später für drei Minuten deutscher Fußballmeister sein sollte, hatte ich gekifft, böse Fans meines Vereins hatten mich beschimpft und wollten mich gleich zur Polizei bringen, nette Fans meines Vereins retteten mich dann …. Schalke spielt furchtbar im Schmittz, viele tragen Schalke-Trikots unterschiedlicher Epochen, und später auf dem Heimweg denke ich an Mary Jane Veloso, die vor wenigen Wochen in Indonesien in letzter Sekunde der Hinrichtung entging, eine wahnsinnige Geschichte mit unglaublichen Bildern.
Immer sind auch Leute aus alten Subkulturen bei solchen Veranstaltungen dabei. Ehemalige Haschrebellen, Leute, die noch Albert Hofmann kannten. Das ist an Berlin ja so gut, dass so viele Traditionen gepflegt und lebendig erhalten werden.
Viele Jahre hatte ich überlegt, woher dies Feuerwerk jeden Samstagabend kommt. Ich hatte es ja immer gehört und war ans Fenster getreten und hatte überlegt und es prinzipiell toll gefunden. Und nun – da hinten ist es. Hasenheide!
Es gab so viele schöne Lampen im Haus des Vaters von B.
Theo in Ungarn; da war er auch schon fast achtzig; Momente des Glücks, versuchsweise in alternativen Lebensgemeinschaften. Er war Apotheker und aus Lettland gekommen, hatte Silvio Gesell gut gefunden und die Grünen in Bad Segeberg mit gegründet, einer der ersten taz-Abonnenten, esoterische Interessen, Rudolf Steiner, aber auch A. S. Neill in den Bücherregalen (Die Grüne Wolke ist eins meiner Lieblingsjugendbücher), Lebensratgeber, ein bisschen Literatur, eine mehr als 200 Jahre alte Schiller-Ausgabe und einen beschwichtigen wollenden Brief an Alice Schwarzer.
Theo war schweigsam, ein seltsamer Mann, der mir als Teenager vorgekommen war wie eine Figur von Hermann Hesse. Er hatte dann ständig Deutschlandfunk gehört; Fernsehen ging nicht, weil er alles im Fernsehen für bare Münze nahm, wie B. erzählte, und das Fernsehen überhaupt für schädlich hielt. Wie auch das Rauchen.
Acht Jahre Parkinson. Vor ein paar Monaten war er gestorben. Und dann hatte B. gefragt, ob ich mit nach Trappenkamp komme, dies und das müsse im Haus noch gemacht werden, und ich hatte ja gesagt und mich auch gefreut, seit Weihnachten endlich mal wieder aus Berlin raus in die Gegend meiner Jugend zu kommen.
Wir waren zusammen zur Schule gegangen. Als wir uns kennenlernten, war ich fünfzehn, las begeistert Hermann Hesse und verbrachte viele Wochenenden in Trappenkamp. Das Haus war größer, die Welt war freier in Trappenkamp, wie es auf Dörfern ja oft geselliger ist als in Städten. Es gab noch drei Schwestern, mit denen ich auch befreundet war, alle sahen sich sehr ähnlich, ständig kamen Leute, wir spielten zu zehnt Tischtennis mit Rumlaufen, erzählten einander irgendwann immer alles, unternahmen Sachen, besuchten ständig neue Leute und waren dauernd in irgendwelchen Liebesgeschichten. Hunderte Male zwischen Segeberg und Trappenkamp getrampt.
Wie still es doch ist. B. sagt, es ist so kalt hier; ich sage, macht doch nichts, und der Himmel ist viel heller.
Alte Notizbücher
Dann ist es mir doch gelungen, den Gimpel zu fotografieren.
»Der Bücherschrank auf dem Sudetenplatz ist von morgens bis abends geöffnet. Er ist Jung und Alt zugänglich. Die Benutzung ist ganz einfach: Der Benutzer entnimmt ein Buch, das ihn interessiert, aus dem Regal und tauscht es gegen ein eigenes Buch ein, das man nicht mehr haben möchte. Nach dem Lesen stellt man das gelesene Buch zurück und der Tausch beginnt von Neuem.« (trappenkamp.de)