Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Wie die Tage automatisch besser werden, wenn es passende Aufträge gibt. Das Interview mit Bernd Cailloux. Irgendwann hatte ich gesagt, dass in meiner Gegend ehemalige Haschrebellen wohnen bzw. Männer, die ich für ehemalige Haschrebellen halte, die ich gemeint hatte, auf dieser großen Hanfparade 96 oder so gesehen und fotografiert zu haben – ich bin mir ganz sicher –, und er hatte dann eine halbe Stunde lang über die Zeit Ende der 60er erzählt, als Ex-Fan des Sixties kannte ich vieles in- und auswendig, und als wir das Café verließen, war der Hinterreifen platt. Irgendjemand hatte in den Hinterreifen gestochen, oder ich war über eine Scherbe gefahren.
Wir gingen von der Akazienstraße über die Hauptstraße Richtung Kleistpark. Cailloux sagte, er hätte seinen ersten Roman ja auch erst mit 60 geschrieben. Insofern bleibt noch Zeit.
Mit der U-Bahn zum nächsten Termin; das ruhmreiche Archiv des ruhmreichen Arsenalkinos war in das neue Kulturquartier Silent Green gezogen, das im ehemaligen Weddinger Krematorium untergebracht ist. Nun ist alles renoviert und ein Teilnehmer des letzten Über-Film-Schreibworkshops war auch unter den Berichterstattern. Ich war ein bisschen stolz. Am Abend, beim Fest, mein japanischer Lieblingsregisseur Sabu. Erst gestern erzählte mir K., dass er seinen Sohn »Genie« genannt hatte.
Die regelmäßige Arbeit hatte mir gut getan; das Redigieren, die gemeinsame Arbeit an Texten. Die TeilnehmerInnen waren prima. Ich war als Leiter eher so in den Workshop hineingestolpert; eine Viertelstunde verspätet in die kurze Einführungs- und Kennenlernveranstaltung; auf halbem Hinweg hatte ich einen Platten und auch anderes im Kopf.
Die Lesung am nächsten Tag im Kater Blau, mit deren Vorbereitung ich noch beschäftigt war. Die erste eigene Lesung in einem Jahr, dort wo die Bar25 mal war. Sie sollte von Drogen, Spielen, vom Vergehen der Zeit und Tieren handeln. Den ganzen Tag über hatte ich mich in alten und neuen Texten verloren, Sachen ausgedruckt, sie thematisch geordnet usw. In den 90er Jahren hatte ich mir vorgestellt, für lesende Leute mit Hang zu Drogen zu schreiben und meine Lieblingskulturveranstaltung, Ende der 90er, Anfang der Nullerjahre, war der Karneval der Verpeilten gewesen.
Erst hatte ich eine Einleitung geschrieben.
Die Zeit vergeht. Auf der Abschlussparty der Bar25 hatte ich von der Abschlussparty im e-Werk erzählt, dass die meisten Ereignisse erst im Nachhinein sozusagen paradigmatisch und wichtig genommen werden. Und im Grunde genommen eigentlich auch nicht so viel bedeuten. In der Zeit hatte ich eigentlich schon gar keine Drogen mehr genommen außer kiffen und mich eher wie ein elder statesman gefühlt. Dann hieß es Kater, Judiths Schicht war zu Ende, wir tranken draußen noch ein Bier und dachten an die Hirschbarparty, wo wir uns 96 kennen gelernt hatten. Auf den Fotos seh ich furchtbar aus, danach gings zum Zahnarzt. Später starb dann auch noch David Bowie, von dem Pilocka Krach doch grad noch so hoffnungsvoll gesungen hatte: »David Bowie will never die«. Und ein Eichhörnchen tauchte plötzlich auf, das zufälligerweise genauso hieß. …
Das war mir dann aber irgendwie doch zu glatt. Die Projektionsfläche funktionierte auch nicht richtig, darauf, in den Systemeinstellungen unter Monitore nachzugucken, war ich in der Aufregung gar nicht gekommen. Ich entschied mich spontan dies oder das zu lesen. Manchmal zeigte ich Eichhörnchenbilder. Und manchmal rief ein Chor heller Stimmen: »Eichhörnchen, Eichhörnchen!!« Und in der Aufregung fand ich mein Lieblingseichhörnchenvideo nicht mehr und spielte meine Lieblingsteenager-Single How Can I Be Sure von David Cassidy.
Eine Pause. Danach ging’s besser. Das Besserwerden hatte ich lange nicht mehr erlebt. Fast wie beim Fußball. Und später die Freundinnen vor allem, die ich teils ziemlich lang nicht mehr gesehen hatte. Es war glaube ich nur ein Freund da gewesen, und dass die Technomusikerin Pilocka Krach im Publikum gewesen war, freute mich ganz besonders. Sie war grad in Mexiko und davor in Detroit, der Wiege der Technomusik. Da G. auch aus Mexiko kommt, könnten wir zusammen ziehen, und die beiden könnten über Mexiko reden; dass Pilocka Krach auch auf dem grad erschienenen Sampler Karneval der Verpeilten – Mukke (Force Tracks) vertreten ist, seh ich auch gerade.