Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
In den letzten sechs Monaten war das Eichhörnchen der Mensch, den ich am meisten gesehen hatte. Vielleicht noch die Leute von Getränke Hoffmann, wo ich jeden Tag genau zwei Bier einkaufte – die Mitarbeiter mochten mich, weil ich gerne neue Biersorten ausprobierte und am nächsten Tag dann immer erzählte, wie es mir geschmeckt hat –, aber eigentlich war es das Eichhörnchen.
Es besuchte mich fast jeden Tag. Meist blieb es eine halbe Stunde. Ich beobachtete, wie es den Balkon und alle Balkonkästen inspizierte und es guckte manchmal zurück. Da und dort hatte ich Nüsse versteckt. Manchmal aß es auch Blätter zum Nachtisch oder leckte an einem alten Stück Apfel, als wäre es ein Eis. Vielleicht ist es doch verletzt an einer Pfote, und manchmal kommt es mir auch so vor, als könne es kaum sehen. Vermutlich werde ich im Internet nachgeguckt haben, wie es im Allgemeinen um das Sehvermögen von Eichhörnchen bestellt ist, hatte diese Information dann aber wieder vergessen.
»Nun aber hatte ich geträumt, Monsieur de Charlus sei hundertzehn Jahre alt und habe seine eigene Mutter geohrfeigt, Madame Verdurin, weil sie für fünf Milliarden einen Veilchenstrauß gekauft hatte.« (Sodom und Gomorrha, 565)
Die EM ging ihrer Wege; ich hatte fast alle Spiele ganz gesehen, war aber eigentlich nur bei zweien ganz dabei gewesen; bei der Niederlage Polens gegen Portugal, weil ich das Spiel mit einem polnischen Freund in einem kleinen portugiesischen Restaurant geguckt hatte, und bei der Niederlage der Unsrigen gegen Frankreich. Tolles Spiel! Schöner Abschied. Am nächsten Morgen Genugtuung. Ein paar Tage zuvor hatten SPON und die anderen noch über Höwedes geschrieben »Ansonsten kreuzbrav, wie man es von ihm kennt. Mehr aber auch nicht«, nun hieß es plötzlich »Der Schalker ist einer der Spieler des Turniers. In den ersten beiden Spielen noch gescholten wegen seiner Offensivdefizite, hat er zuletzt in der Abwehr Überragendes geleistet.«