Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Es war ein schönes Sommerende gewesen. Mittags wählen, abends Fußball gucken, nachts auf den Gassen und nichts im Übermaß. Vormittags hatten wir auf der Sonnenseite der Bergmannstraße gefrühstückt. Und uns ein bisschen vor den Wespen gefürchtet, die sich in der Marmelade tummelten. G. hatte erzählt, wie sie neulich am Po gestochen worden war, und ich hatte erzählt, wie mich vor 25 Jahren eine Wespe, die in der Cola gebadet hatte, in den Mund gestochen hatte und wie ich dann eine Woche lang ausgesehen hatte wie ein Monster und dass es 1991 überhaupt sehr lustig gewesen war. Dass nun Wahl war, war auch gut und ich freute mich. G. hatte keine Lust auf’s Wählen und erklärte es damit, dass die meisten Politiker in ihrem Land so korrupt sind. Außerdem durfte sie auch noch nicht wählen, weil sie erst ein Jahr verheiratet ist.
Die Essens-Portionen waren riesig. Den Rest nahmen wir mit.
Und später wählen. Eigentlich hatte ich Björn Eggert; SPD wählen wollen. Ich hatte den SPD-Kandidaten ein paar Tage zuvor am Südstern kennengelernt. Er ist sehr nett und lustig, und es hatte auch so gut gepasst. Ich war nämlich auf dem Weg zu meinem Freund M. gewesen, meinem Ex-Nachbarn, mit dem ich jahrelang immer flippern gegangen war. M. hatte nämlich mit Steinmeier studiert. In dieser Zeit war er linksradikal und auf der Seite der Revolution. Steinmeier hatte er aber okay gefunden.
Leider kann M. wegen seiner Diabetes kaum noch die Wohnung verlassen und hat ständig Schmerzen in Händen und Füßen; die Medikamente funktionieren nicht, aber warmes Bier hilft ein bisschen. Ich bin eigentlich auch noch ein bisschen beschädigt, aber, wenn ich den schwerkranken Freund besuche, fühle ich mich schon fast wieder gesund.
Ich war also mit einem Rucksack voll warmem Bier auf dem Weg zu M. gewesen, als ich an dem SPD-Wahlkampfstand am Südstern vorbeigekommen war, an dem auch Björn Eggert gestanden hatte. Ich hatte eine Standmitarbeiterin gefragt »ist das nicht Björn Eggert?«, sie hatte »ja« geantwortet. In echt und ohne Jackett hatte er schlanker ausgesehen, als auf den Plakaten mit Jackett. Dann hatte ich ein paar Worte mit ihm gewechselt, das Wahlkampfmaterial mitgenommen, war dann hoch zu M. gegangen und hatte ihm alles erzählt. Und M., der früher immer nur Die Partei, DKP oder gar nicht gewählt hatte, wollte dann auch SPD wählen. Wie immer bei Wahlen war ich kurzzeitig begeistert und bedauerte, kein Selfie mit ihm gemacht zu haben. Dass er aus Bad Oldesloe stammt, gefiel mir auch sehr gut und dass er am nächsten Tag mit Steinmeier in der Bergmannstraße war.
Es endete dann aber leider so, dass keiner von uns Björn Eggert gewählt hat. M. konnte nicht wählen, weil seine Brieftasche mit Ausweis gestohlen wurde, und ich konnte Björn Eggert nicht wählen, weil er in meinem Wahlbezirk nicht zur Wahl gestanden hatte, sondern in dem daneben.
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