Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
»Mir fehlt der prospektive Zukunftsbezug, ich kann nicht planen. Das war schon immer so. Es ist ein Defekt. Mit Interesse beobachtet ein Teil von mir, wie ich verwahrlose. Aber stimmt das? Ist das nicht doch nur dein böser Wille, mit dem du dich weigerst, dich in die Zukunft zu entwerfen? – Keine Ahnung. Spazierengehen geht ja meist noch, und schlafen bringt auch Spaß.«
Irgendwie bin ich den ganzen Januar schon ein bisschen wehleidig. Ich lebe zurückgezogen und sitze die meiste Zeit in meiner 1-Zi-Neubauwohnung am Schreibtisch. Zwei Drittel der Zeit verplempere ich. Ein Drittel mache ich mir Notizen. Fast jeden Tag bin ich noch bei Netto, Getränke Hoffmann und manchmal bei Spätis oder bei der Post, weil ich keine Daueraufträge eingerichtet habe.
Ein Problem ist das planlose Verplempern deiner Zeit, ein anderes, von verplemperter Zeit zu reden, oder?
Ja.
Dein Schreibtisch steht jetzt auch richtig, oder?
Ja.
Zwei Tage hatte ich darüber nachgedacht, ob ich mich für das Stipendium bewerben sollte, und es dann doch nicht gemacht, eine lange Geschichte. Zwei Tage verbrachte ich dann damit, mir zu erklären, weshalb es richtig war, sich nicht zu bewerben, weshalb es besser ist, noch ein bisschen zu warten. … was gleichzeitig aber auch wieder verpflichtet.
»Das Vertrackte dabei ist, dass ich nicht weiß, ob mein böser Wille frei und eine gewisse Eigenart ist, die ich akzeptieren sollte, oder nicht doch einfach nur pathologisch. Komischerweise fühle ich mich trotzdem meist eher gelassen. Zumindest in der Zeit, in der ich keinen Zeitungstext schreiben muss.«
Haha.
Das Daimonion in der Apologie war der böse Wille sozusagen, der immer nur abrät. Wann war denn das? 10te Klasse? Ob das mal stimmt?
»Die Zukunft ist etwas, das mir geschieht, dem ich unterliege. Das kann man dann nicht mehr ändern. Komischerweise habe ich gegenüber der Vergangenheit immer ein freieres Gefühl. Die Vergangenheit ist etwas, das ich gestalten kann; die Gegenwart versuche ich, vorurteilsfrei zu akzeptieren, auf die Zukunft habe ich keinen Einfluss, sie bedrängt und überrollt mich und wird mich vermutlich irgendwann holen.«
Proust hatte das ja so geschrieben und Joachim Meyerhoff; beim Schreiben empfinde ich das meist auch so. Vor allem im Winter. Man schreibt Dinge auf, meist nur Absätze in vielen Dateien, ergänzt da und dort in der Hoffnung, es würde eine natürliche Struktur entstehen. Gut, einen Tick zielorientierter schon.
Es gibt auch Erfolge. Die Reparatur des Reißverschlussschlittens meiner Jacke ist mir zum Beispiel gut gelungen. Die Schneiderin in der Markthalle hatte gesagt, es würde 30 €uro kosten. Ein paar Wochen war ich mit offener Jacke unterwegs; dann machte ich mir Gedanken, und dann war es eigentlich ganz einfach. Man musste den Schlitten nur ein bisschen mit einer Zange zusammenpressen, Und dann ging es wieder. Fast immer.
Ich besuchte T. Ein ganz kleines bisschen schien es ihm besser zu gehen. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. Ich sagte nur selten was, weil er nicht sprechen konnte. Im Fernsehen lief Bonn direkt. Kamera und Schnitt nervten total, oder diese billige Unschärfethematik im Griechenlandbericht, das actionorientierte Heranzoomen, die billigen Inszenierungen, der wohlige Schauer: endlich mal wieder was los auf der europäischen Bühne. Tsipras als leicht dämonischer Popstar.
Es machte Spaß zu gucken, auch wenn es manchmal nervte.
Alice und Eddie denken über ganz andere Dinge nach.