Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Das wird mir alles zu viel. Die kirchlichen Feiertage hätten sich mit den profanen Feiertagen besser absprechen sollen. Ich sitze im Internet; jemand postet einen Artikel von David Wagner aus der Welt. Titel: So lebt es sich als Schriftsteller in Berlin. Die FB-Freunde, unberühmtere Autoren als David Wagner, sind entsetzt.
Eine Weile halte ich den Text für eine Satire, dann ärgere ich mich doch sehr. Und bleibe wutentbrannt bei drei Zeilen über Bernd Cailloux hängen:
»(…) Und wer spaziert kurz darauf an unserem Tisch vorbei? Bernd C., der Crébillon fils von Schöneberg! In den Buchhandlungen liegt gerade sein neues Buch über die Freuden mit Haschisch. Wir grüßen uns ganz artig.«
Cailloux’ Haschischgeschichten untertiteltes Buch Surabaya Gold handelt nur gar nicht von »Freuden mit Haschisch«; es gibt in dem Buch keinen einzigen Absatz, der von Freuden mit Haschisch handelt. Das Buch ist auch nicht als eines angekündigt, das von Freuden mit Haschisch handele. Cailloux ist nicht einmal ein Freund des Haschischrausches. Seine Erzählerposition ist eher distanziert, beobachtend. Gras ist kein Exotikum und Cannabis wird als gleicher Stoff unter Gleichen behandelt.
Denn in der Wirklichkeit wird die Droge ja diskriminiert; in jeder Studie gilt Alkohol als schädlicher/gefährlicher. Und wieso das härtere Geschwister von Hasch, also Alkohol, erlaubt, als Kulturgut gefördert und im Gegensatz zu Zigaretten auch nicht besonders viel teurer wurde in den letzten 30 Jahren, versteht doch kein vernünftiger Mensch.
Da kann ich mich wieder aufregen! Über die Vorurteile gegen Kiffer, die sich in den drei Sätzen über Cailloux zu zeigen scheinen, den herablassenden Ton, die Geringschätzung eines Themas, das doch eigentlich super ist und viel zu gouvernantenhaft überall diskutiert wird usw.
Später denke ich daran, dass er meine Sachen mochte und meine Eichhörnchenbilder auf FB immer geliked hatte und dass wir uns schon eine Weile kennen und immer nett grüßen und habe ein schlechtes Gewissen, seinen Text doof zu finden, und bin auch eigentlich zu alt.
Dann entschließe ich mich doch, die Briefe vom Finanzamt aufzumachen, und bin ganz schlecht gelaunt und fühle mich hilflos, weil sie mein Girokonto festgenommen haben, poste den Pfändungsbescheid, eine linke FB-Freundin kommentiert tatsächlich: Autor sein als Hobby. Danke Deutschland.
Ich sage, nein; ich bin schlecht, undiszipliniert und faul und gebe mehr Geld aus, als ich einnehme; da hat Deutschland nix mit zu tun. Wenn ich auf etwas stolz bin, ist es, dass ich bislang nicht vom Staat bezahlt wurde!