Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Schwarz spielte absolut menschliche Züge, sagte der Schachlehrer oft in seinem Eröffnungsfallen-Video.
Das erste Gefühl war nicht Entsetzen oder Mitleid, sondern Ärger gewesen, als B., seine Freundin und Mitbewohnerin, erzählte, dass er nun in der Intensivstation gelandet sei. Aber vielleicht war es auch für ihn so gewesen, als wäre er auf Trip gewesen, in einem Zustand, in dem man nicht mehr umkehren kann. »Und ich hatte gedacht, ich wäre komplett nüchtern«, hatte er später gesagt.
Er hatte darauf bestanden, den Notarzt und nicht die Feuerwehr zu rufen. Die Feuerwehr wäre sofort gekommen; der Notarzt hatte vier Stunden gebraucht. Dann war er kurz im Koma gewesen, hatte aber auch nichts Besonderes dort erlebt, nur Schwindel, und nun lag er da im fünften Stock des Urbankrankenhauses; es war ein kalter, heller Tag, angenehm sediert, das Gesicht geschwollen wie das eines Boxers. Man war erleichtert, ihn gut versorgt zu sehen. Es war ein bisschen still, aber angenehm, die Dämonen hatten Ausgang. Ich war lange nicht mehr in einem Krankenhauszimmer gewesen (aber die im Pflegeheim sehen ähnlich aus), als Kind hatte ich mich wahnsinnig in Krankenhauszimmern gelangweilt.
Er sagte, der Standardsatz im Krankenhaus sei: »Ich komme gleich«, und wenn man sagt: »Mir ist kalt«, bekäme man zur Antwort: »Hier ist es gar nicht kalt; mir ist warm.«
In der Woche, die ich bei ihm gewohnt hatte, in der Zeit meines Zivildienstes, vor zwei Wochen, war ich manchmal in der Hasenheide spazieren gegangen und hatte an den friedenspolitisch engagierten Juristen gedacht, den ich während des Zivildienstes in Bad Harzburg gepflegt hatte. Wie komplett falsch es doch gewesen war, den Zivildienst abzuschaffen; man hätte ihn ausbauen müssen, das wäre richtig gewesen!
M. lag mit einem gallenkranken Hallenser in einem Zimmer. Das passte gut, weil er selber ja in Grimma geboren worden war. Lachend erzählte er, wie die Frau ihren Mann gefragt hatte: »Hast du denn auch genug zum Zwitschern?«
Zunächst hatte es geheißen, er würde nach dem Krankenhaus einen stationären Entzug machen. Dann hatte die Ärztin gesagt, er ist nun schon zwei Wochen hier und hat schon entzogen; irre, wie schnell das geht. Und in der nächsten Woche schon in einem Doppelzimmer im Heim.
Diese seltsame Open-Air-Ausstellung in der Blücherstraße; der eindringliche Ton; Nachbarn, die plötzlich nicht mehr da sind, die Tiere der Stadt. Rollatoren, Gehböcke, Getränke Hoffmann, eine Porno-Sammmlung, vor allem aus den 1980r Jahren, im Hausmüll.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.