Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Manchmal abends im Club49 in der Ohlauer Straße – hier habe ich tatsächlich auch meinen 49. Geburtstag gefeiert. Und am frühen Morgen dachte ich, kann das sein, hatte ich jetzt tatsächlich von Rainald und lebendigen Meerschweinchenkeksen geträumt?
Wunderschön, an diesem Abend, so alleine draußen zu sitzen. Ich machte mir Notizen auf einem Bierdeckel, weil ich mein Notizbuch vergessen hatte.
Das ist ein paar Tage später. Kai von Kröcher, der mir seine Kamera schon fast ein Jahr lang geliehen hat, hat diese drei Bilder mit mir, Bier und Volker gemacht.
Manchmal kommt nämlich Volker Hauptvogel vorbei, während seine Wäsche im Waschsalon ein paar Meter weiter gerade gewaschen wird. Er ist der große alte Mann der Neuen Deutschen Welle – es ist immer schön, ihm zu begegnen. Das letzte Mal habe ich ihn auf einer Beerdigung gesehen. Drei Leute aus der Ursprungsbesetzung seiner Band Mekanik Destrüktiv Kommandöh sind leider auch schon tot. Und ein paar Tage später trat er mit seiner Band im Ex’n’Pop auf.
Er erzählte von Drogen in den 70ern – als ob Haschisch in dieser Zeit in West-Berlin eine Zweitwährung gewesen wäre; für bestimmte Szenen galt das ja auch. Das war Teil der Alternativökonomie. Mittlerweile … jedenfalls gibt es glaube ich keinen Betrieb mehr, der sich bei dem man seine Werbeanzeigen mit Hasch bezahlen kann. Eigentlich komisch, weil in der Gegenwart sicher sehr viel mehr Gras und Hasch in Berlin verbraucht und umgesetzt wird. Und ich sagte, wie unmöglich ich es finde, dass in diesen ganzen Rückblicken – früher auf die grandiosen 60er und 70er, seit ein paar Jahren auf die 80er und 90er Jahre und ihre Subkulturen – die Toten im Umfeld des tollen exzessiven Lebens, der Räusche, unterschlagen werden und so getan wird, als wäre alles ein netter, emanzipatorischer Kindergeburtstag gewesen. (In der taz und der Berliner Zeitung habe ich auch über Hauptvogel und das MDK geschrieben; die kleinen Texte erscheinen aber erst morgen; glaube ich.) Und Volker erzählte, er hätte seine Memoiren über die 70er und 80er schon längst fertig und der Typ vom Verlag hätte gesagt: »Sie schreiben ja wie Bukowski.« Aber dann ist sein Lektor wohl entlassen worden und Volkers Erinnerungen liegen auf Eis.
Ungeheuer an der Friedhofsmauer; Zossener Straße.
Das Licht in der Potsdamer Straße ist noch genauso wie in den 80er Jahren. Ein Kollege, der in der Gegend wohnt, meinte, der Anschein trüge, im Hintergrund werde seit einigen Jahren schon fleissig gentrifiziert.
Volker Hauptvogel (rechts) mit seiner Band.
Aus der Stühle-im-öffentlichen-Raum-Serie.
Weil ich nur zu Hause arbeite, nehme ich süchtig an der Schlacht um Kobane teil, lese alle Texte, auch wenn mir bewusst ist, dass unter der Oberfläche der Nachrichten andere Dinge geschehen. Ich versuche mir ein Bild zu machen, spreche mit Kollegen: »Sind das IS-Sympathiebekundungen?« – »Ich glaube schon.« Ungefähr zwanzig in meiner Nachbarschaft, in der Solms- und der Schleiermacherstraße. Ich stelle mir 14-jährige Jungs vor. Am U-Bahnhof Ku’damm das Graffiti »IS IS LOVE!«