Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fußball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Nacht. Schmerzen. Zähne, Zahnfleisch. Rauchen geht nicht. Rauchen tut weh. Eine Ibuprofen ist noch da. Ich teile sie ungeschickt. Ein Teil fällt auf den Boden. Ich nehme das andere Teil. Und ein paar Stunden später, während der ich im Internet die Kreuzberger Notfallapotheken recherchiere, wieder ein Teil. Und ein paar Stunden später, es ist schon fast Morgen, krauche ich auf dem Boden herum und finde eine viertel Ibu. Dann fällt mir ein, dass ich kein Geld hab, dass das Konto gesperrt ist, dass ich gar keine Tabletten kaufen könnte. Vormittags geht’s dann wieder besser. Aufstehen funktioniert fast immer.
Am Abend der 60. Geburtstag im neuen, kleinen, weißen Domizil mit Fenstern bis zum Fußboden, im Hinterhof. Mit Grillen und vielen Gästen und Essen, so viel du magst. Ich bin überrascht, wie zu Hause ich mich bei K. fühle. Musik vom Handy über eine kleine Anlage, höchstens 10 Watt. Gespräche über Abchasien und Edinburgh.
Faces – Ooh La La und Cindy Incidentally.
K. hatte das in Krakau, ich in Bad Segeberg gehört. Ich hatte ganz vergessen, wie gut die Faces waren, weil ich sie so lange nicht gehört hatte.
Bei selten gespielter Musik ist der Déjà-vu-Akku (sozusagen) noch voll. (Proust erklärt das ja ausführlich.)
»Ich bin wie Jesus«, hatte K. gesagt. Wie sein alter Freund, der auch Geburtstag hatte, trug auch er einen kleinen Sommerhut, eine rote Blume im Knopfloch und versuchte, mit all seinen Gästen zu sprechen und ihnen wohl zu tun.
Dann war es schon eins; wir hatten uns von der Party entfernt und standen zu viert an der Straße – drei Viertel Altbauten; in Baulücken hatte man bauhausartige weiße Häuschen wie das von K. gesetzt. Ein Mann stand im Unterhemd auf seinem Neubau-Balkon im dritten Stock auf der anderen Straßenseite. Klein, kräftig und ein bisschen bösartig hatte er gerufen:
»Macht endlich eure Scheiß-Musik aus.«
»Das ist eine Nazigegend hier«, hatte P. gesagt, zu uns und zu dem Mann hin, und ich hatte gesagt, »der ruft gleich die Bullen«, und mich mit dem Rücken zu ihm hingestellt beim Rauchen.
Die Gegensprechanlage hatte wie immer nicht funktioniert. Dann hatten sie zu dritt vor meiner Tür gestanden, sehr ordentlich, fast adrett, in dunklen Anzügen, wie die Missionare dieser amerikanischen Freikirchen, die in Dahlem, in Uninähe, für ihre Gemeinden vermutlich immer noch werben. Sie sagten, keine Angst und sie kämen von der Telekom. Ich sagte, mein Konto ist gesperrt, und später, als ich das Blatt an der Haustür sah, freute ich mich, dass ich echte Trickbetrüger gesehen und dass die Wohnung so schön nach Rauch gerochen hatte.
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