Vielleicht später ist sozusagen ein defensives Mañana. Ein thematisch offenes Blog in der Jetztzeit mit Fotos, ein Versuch, in der Gegenwart zu schreiben. Die Gegenwart ist Berlin. Die Wege und Wände meist die gleichen wie in Umsonst & draußen. Vieles ist anders. Leute kommen vorbei. Die Fussball-WM, die wie Weihnachten oder Geburtstag immer zu früh kommt. An den Wänden gibt es Zeichen. Oder auf dem Boden. Wie in jedem Tagebuch geht es darum, sich selbst und die Welt im Blick des Anderen zu ordnen. In der Gegenwart. »Kommst du?« – »Vielleicht später«.
Früh-ling fiel mir ein, weil ich das schöne Buch Styx von Christa Ritter gerade gelesen hatte. Christa Ritter lebt seit 1978 in dem sogenannten Harem in München mit Rainer Langhans, Jutta Winkelmann, Gisela Getty, Anna Werner und Brigitte Streubel. Wobei sie gar nicht richtig zusammen in einer Wohnung leben, sondern sich nur häufig treffen, also eher so beste Freunde sind, wenn ich es richtig verstanden habe. Der Wikipedia-Eintrag über den Harem ist ganz schön; besonders gut gefällt mir: »Anfangs traf man sich täglich, tauschte alle Ereignisse und sich selbst so offen und auch ungeschönt wie möglich aus. Anfang der 1980er Jahre folgten erste Kontaktversuche mit der Welt draußen.«
Styx ist ein Tagebuchroman, der von der siebenwöchigen Indienreise erzählt, die Christa Ritter, Jutta Winkelmann, Brigitte Streusel und Rainer Langhans unternommen hatten. Eine schwierige Pilgerfahrt, denn Jutta Winkelmann hat Knochenkrebs mit Metastasen. Ihre Indienfahrt versteht sie als finale Pilgerreise. Es gibt einen Dokumentarfilm – Good Luck Finding Yourself – von Severin Winzenburg, dem Sohn von Jutta Winkelmann, über diese Reise. Das Buch gefiel mir irgendwie, auch wenn es mich anfangs ein bisschen nervte. Ein bisschen wunderte mich, wie eifersüchtig die Frauen aufeinander sind, wie sehr sie um seine Aufmerksamkeit konkurrieren. Wie viel Angst da ist. Obgleich sie nicht rauchen, keine Drogen nehmen, erfahrene Meditierer und Weltenbummler sind und sich vor allem teils schon seit 50 Jahren kennen und ihre Haremsgemeinschaft ja auch schon seit ungefähr 40 Jahren besteht. Man stellt sich vor, dass man sich in einer solch langen Zeit eigentlich aufeinander eingestimmt haben müsste, blind einander vertrauen würde. Scheint aber nicht so zu sein.
Diese Unreife wirkt aber (zumindest in dem Buch) nicht so abgestanden, wie bei Leuten, die ihr ganzes Leben in ihrem Lieblingsjahrzehnt verbringen, sondern jugendlich. Und dass sie einander »Jungs« und »Mädchen« nennen, gefällt mir letztendlich auch. (Das Buch wird erst in den nächsten zwei Wochen als E-Book auf Amazon und den anderen Shops (wie Weltbild) zwei Wochen lang zum kostenlosen Download erscheinen, danach kostet es dort 8,90 Euro.)
Und »Früh-ling« fiel mir ein, weil ich über einen Satz von Christa Ritter gestolpert war, in dem das Wort »ver-rückt« auftauchte, das ich lange nicht mehr gelesen oder gehört hatte.
Außerdem ist heute sowieso gerade Frühling.
In Röntgental war mein Vater geboren worden. Mein Großvater hatte hier bis 1984 gelebt. Und weil wir im Westen waren, hatte meine Tante aus Halle das Haus bekommen. Seitdem sie und ihr Mann tot sind, ist es kaum noch genutzt worden. Und nun war es eben fast leer geräumt und bevor dann alles rauskommt, wollte ich es noch einmal sehen.
Das Haus auf dem Foto ist es nicht; mir fällt nur immer diese Katze auf, wenn ich nach Röntgental komme.
Die Bedeutung des Bildes ist mir nicht ganz klar.
Hier auch nicht.
Ich hatte keine Lust, zu fotografieren. Nur das Pferd.
Tante Grete. Röntgental. 1984.
Solms-, vielleicht auch Nostitzstraße.